Ente am Ende
Was ist rechts und wo ist links?
Freitag, 3. September 2010, 09:39

manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum!

Ernst Jandl

Rechts ist, wo der Daumen links ist.
Volksweisheit

Wer (wie ich leider) die gegenwärtige Debatte um den unsäglichen Herrn Sarrazin und dabei vor allem "Volkes Stimme" (wie exemplarisch hier bei RP-online nachzulesen) verfolgt, sieht sich (neben vielem nachdenklich, wütend und traurig Machendem) auch immer wieder mit einer simplen Gleichsetzung von (politisch) links und rechts konfrontiert. Daher fühle ich mich bemüßigt, noch einmal (auch für mich selber) klarzustellen, was diese beiden Begriffe im politischen Koordinatensystem bedeuten und warum sie eben nicht Gleichartiges, sondern Grundverschiedenes bezeichnen.

Der Ursprung dieser Richtungsmetapher geht laut Wikipedia auf die Sitzordnung der Delegierten bei der (...) französischen Nationalversammlung zwischen 1789 und 1791 zurück. Dort war der traditionell "ehrenvollere" Sitz rechts vom Parlamentspräsidenten dem Adel vorbehalten, so dass das Bürgertum links saß.
(Anmerkung: Natürlich wäre ein anderes Gegensatzpaar angemessener, z.B. fortschrittlich = "vorne" oder "oben" vs. reaktionär = "hinten" oder "unten"; ebenfalls unangemessen sind ja auch die postiven vs. negativen Konnotationen: "rechts, rechtens, rechtschaffen, richtig" usw. vs. "links, linkisch, link, ablinken" usw.)

Definiert werden könne der Unterschied folgendermaßen:
Die politische Linke versucht die herkömmliche, meist als reaktionär oder konservativ verstandene Politik, die am Rückschritt auf ehemalige (reaktionäre) oder Erhalt der bestehenden (konservativen) Staats- und Gesellschaftsstrukturen ausgerichtet ist, zu überwinden. Dem setzt sie eine progressive, das heißt als fortschrittlich verstandene Politik entgegen, die durch Reformen des Bestehenden, nicht selten auch durch revolutionäre Aktivitäten neue soziale, ökonomische und politische Verhältnisse zum Vorteil der eher unterprivilegierten Bevölkerungsschichten durchzusetzen versucht.
Ein klassisches Politikverständnis der Linken ist geprägt von einem egalitären Menschenbild, das heißt: Sie betrachtet unter anderem die Gleichberechtigung aller Menschen, unabhängig von nationalen, ethnischen, geschlechtlichen und anderen Gruppenzugehörigkeiten, als anzustrebendes politisches Ziel
(...)

Mit anderen, einfacheren Worten:
Politisch links bedeutet, miteinander zu kommunizieren, um Kompromisse und einen Ausgleich herzustellen (bzw. dieses zumindest zu versuchen).
Politisch rechts bedeutet dagegen, die eigenen Interessen gegenüber Anderen mit allen Mitteln, auch und gerade mit Gewalt, rücksichtslos durchzusetzen (bzw. dieses zumindest zu versuchen).

Oder, in Beispielen gesprochen:
Links war die gewaltlose Bürgerrechtsbewegung in den USA mit Martin Luther King oder auch der gewaltlose Widerstand der Inder gegen die englische Kolonialherrschaft nach Gandhis Vorbild.
Rechts war (wie jeder Faschismus) der deutsche National"sozialismus" mit seiner Lehre vom werten und unwerten Leben und der massenhaften Vernichtung von Menschen.

Natürlich ist es manchmal schwierig, im konkreten Fall einzuordnen, ob (und wie sehr) etwas "links" oder "rechts" ist; so mancher Linksradikale von einst ("1968") hat sich nach ganz rechtsaußen bewegt (Horst Mahler u.a.), und auch umgekehrte Fälle soll es gegeben haben; und so manche Revolution, die angetreten war, die Massen aus ihrer Unterdrückung zu befreien, endete in blutiger Diktatur.

Doch selbst da, wo Menschen zu Tode kommen, lassen sich verschiedene Ziele unterscheiden. Und deshalb war es eben (entgegen der sog. „Totalitarismustheorie“) nicht dasselbe, als unter Hitler unterschiedslos alle Juden und "Zigeuner" (mithin Unschuldige) vergast wurden, und als unter Lenin Kulaken, die "ihre" Bauern noch ganz wie Leibeigene behandelten und auspressten (mithin nicht ganz Unschuldige), enteignet und bei Widerstand auch eingesperrt oder sogar hingerichtet wurden. Oder, um ein aktuelleres Beispiel zu nennen: es ist nicht dasselbe, wenn Rechtsradikale Ausländerwohnheime und Türkenwohnungen abfackeln oder "Neger klatschen" (totschlagen), und wenn die RAF einen Arbeitgeberpräsidenten entführt und erschießt (ohne dies in irgendeiner Weise gutheißen zu wollen). Der Zweck heiligt zwar keineswegs die Mittel; aber es macht schon noch einen Unterschied aus, für welche Sache jemand Leben (auch das eigene) aufs Spiel setzt – für sich und seine Klientel oder für die Menschheit allgemein.

Doch auch im weniger extremen "Tagesgeschäft" gilt: Politik, die darauf abzielt, bestehende Macht- und Besitzunterschiede zu zementieren und weiter zu vergrößern (wie die unserer derzeitigen Regierung), ist eher rechts; Politik, die darauf abzielte, ebendiese Macht- und Besitzunterschiede (auf staatlicher wie auf internationaler Ebene) abzubauen und letztlich zu überwinden, wäre eher links.

Vor allem aber sehe ich den grundlegenden Unterschied in der Art der Auseinandersetzung: Kommunikation ist links, Konfrontation rechts. Soll heißen: wenn sich Antifaschisten mit Nazis kloppen, hat (unabhängig vom Ausgang der jeweiligen "Schlacht") das bzw. die politische Rechte schon gewonnen. Wenn sie sich dagegen verbal auseinandersetzen, hat (unabhängig vom Ausgang der jeweiligen Debatte) das bzw. die politische Linke sich durchgesetzt.

Und Letzteres ist allemal die konstruktivere Variante.

senf dazu



chudn, 2010.09.06, 14:51
'kleine' anmerkung (mit verlaub): passagenweise finde ich es ein wenig romantisierend, wenn linke als die diskussionsoffenen gutmenschen dargestellt werden: bei aller liebe zu ihnen wird doch jeder (der's wagte und ohren und augen hat) schon mal erfahren haben, wie unvergleichlich sektiererisch, dogmatischer als der papst und (oft, nicht immer) hochgradig intolerant gg.über abweichlern 'linke' streitler sein können und sind.
Gibt es eine andere politische (oder auch religiöse) strömung, wo sich die 127000 fraktionen und splittergruppen mit dem arsch nicht angucken, obgleich sich alle 'links' fühlen??
Ich glaube diesbezüglich sind linke spitzenreiter und zudem mehr und mehr auf der suche nach dem eigenen profil und damit: konfrontation (zu anderen).

Den unterschied würde ich also so nicht ziehen, halte ihn aber natürlich für absolut gültig weiterhin und würde v.a. historisch argumentieren, (Bürgertum/Kapitalismus und Faschismus vs. IDEE des sozialismus usw.) zudem mit den jew. trägerschichten in massen und leithammeln, deren sozialer herkunft und intellektuellen & humanistischen ansprüchen, den jeweiligen ideologien und vorstellungen vom historischen wandel inkl. menschenbild u.v.m.

und nicht zu vergessen: gemeinsam ist beiden seiten, von der MITTE als ein nicht-akzeptable und undemokratische strömung diffamiert zu werden, gegen die 'bürgerliche vernunft' anzukämpfen habe!! dahinter wohl die nur bei links und rechts gemeinsame vorstellung, dass ES SO (parlamentarismus, parteiensystem, einfluss wirtschaft u.v.m.) nicht weiter gehen kann. Jetzt aber genug mit den Gemeinsamkeiten, was zählt ist der mehr-als-abgrund-tiefe-unterschied!!!

PS & mit bezug zum obigen sarazenen-thema einen noch: bedenke die 'linken' antideutschen (ist das links oder rechts?), ich zitiere mal gremliza ais 1/2010: Nach dem er ausführt, dass die meisten Islamhasser tatsächlich Rassisten seien, will er sich mit seinen Abneigungen gg.über Allah und Folgschaft nicht mit denen velwechsern: "Was aber machen wir mit Leuten wie mir, die den Zugewanderten und besonders den Frauen unter ihnen Zugang zu Kitas, Schulen, Universitäten, Berufen verschafft sehen wollen, statt für den Bau von Minaretten zu demonstrieren und ihren Kulturklimbim zu respektieren, der doch vorwiegend aus Gebeten und schlechter Musik besteht, aus türkischen, afghanischen oder arabischen Mixas, Moiks und Bohlens. Ausländer rein! Allah raus! (Die werten anderen Götter eingeschlossen.)"

S, und jetzt noch einen viel gerühmten und führenden Juristen aus Deutschland, quasi aus der Mitte (um die Sache mit den Unterscheidungen noch zu verkomplizieren, denn diesbezüglich würde konkret ihm zustimmen...):
"Die letzte Ursache, dass Integration heute zum ungelösten und, soweit absehbar, zum unlösbaren Problem für Deutschland und für die ähnlich betroffenen Länder des abendländischen Kulturkreises geworden ist, liegt an der Integrationsresistenz des Islam, an seinem fundamentalen Widerspruch zum Geist der Moderne (nicht dagegen zu seinen technischen Errungenschaften), zur Säkularität des Staates, zur Verortung der Religion in einer offenen, auf Wettstreit der Geister ausgerichteteten pluralistischen Gesellschaft, zur Unterscheidung von Recht und Moral, von Religion und Brauchtum." (Josef Isensee, veröffentlicht in den als linksliberal/-sozialdemokratisch geltenden "Blättern" März 2010). Islam-"Intellektuelle" wie Bassam Tibi, Rushdie, Abdelwahab Meddeb oder Ayaan Hirsi Ali und unzählige mehr stehen dem übrigens recht nahe..

wie ich dazu stehe weisste ja..;-)

Na, das nenne ich mir wahrlich einmal eine "kleine Anmerkung"! : )
Dass Viele(s), was als "links" bezeichnet wird oder sich selbst bezeichnet, ein dreister Etikettenschwindel ist, darin sind wir uns wohl einig. Darüber, dass bestimmte Vorgehensweisen (vom Niederbrüllen bis zur standrechtlichen Erschießung), derer sich (sog.) Linke bedient haben und bedienen, keineswegs "links" sind, sicher auch. Dennoch würde ich - eben um dieser von der "Mitte" her erfolgenden Gleichsetzung der "politischen Ränder" - sehr wohl behaupten, dass es erkennbare, sehr deutliche Unterschiede zwischen linker und rechter Politik gibt.
Was nun die "Antideutschen" (in Wirklichkeit ja bedingungslose Zionisten) angeht, so würde ich ihre Ansichten, v.a. aber ihre Methoden (ich erinnere nur an die Selent-Debatte im Solaris-Gästebuch *sorry, Insider-Bemerkung*), als ganz und gar nicht "links" bezeichnen (dann schon eher als link ; ).
Und was die "Integrationsresistenz des Islam" angeht - da kenne ich (und du sicher auch) genug Gegenbeispiele.
Die Türkei hat übrigens schon in den 1920ern die Trennung von Kirche und Staat in der Verfassung festgeschrieben und das Frauenwahlrecht eingeführt - lange vor Dütschland...


..ja natürlich, das beides auf's entschiedenste getrennt werden muss, habe ich ja auch klar gemacht - und nur zu bedenken gegeben, dass es irgendwie immer elemente gibt, die solche unterscheidungen unterlaufen! Sicher sind einige Antideutschen spätaussiedler aus dem linken milieu (wie zuvor mahler & Co. schon); es ist aber zu einfach ALLE argrumente abzutun. (und nazis sind die ganz sicher nicht...)

Bsp.weise ist es ja (sorry!) wirklich das albernste in einer debatte, wie sie über Integration stattfindet (egal, wie zum kotzen ich die auch finde), auf die gegenteligen fälle zu verweisen, wie im TV immer schön vorexerziert. Das ist, als würde man in einer Debatte über strafanfällige oder verdummte Jugendliche einen gandhi- resp. einstein-als- jugendlichen heranziehen oder mit dem hinweis auf einen quer denkenden Nazi sagen, dass Nazis doch an sich nicht schlimm seien. Ich seh das nüchtern: auch wenn es nur um 5 oder 10% "integrationsunwilllige" ginge, kann man eben nachvollziehen (unabhängig von jeder bewertung), dass leute eben über dieses problem reden wollen, so wie man über das problem 10% arbeitslose, 30% verblödete oder 2% (irgendwie) kranke reden kann, ohne gleich alle meinen zu müssen.
(Wie glaube ich Broder im TV sagte: der arzt interesssiert sich nicht für 100 gesunde sondern den einen kranken).

weder voll integrierte türken in deutschland noch die türkei als Ganzes (was ja schon hinsichtlich einheitlicher kultur/mentalität etc. nicht existiert) repräsentieren 'den Islam', wahrscheinlich tut es keine Gruppe. Was aber einige am Islam derzeit interessiert, sind nicht die vorzeigeintegrierten (die übrigens letztlich genauso ticken können wie jede csu-dumpfbacke), sondern in ihren augen eben der teil, der sowohl bei uns als auch überall auf der welt irgendwie weniger 'modern' ist und denkt als europäer, asiaten und amerikaner. Insofern fände man den islam eher in saudi-arabien als instanbul, was natürlich auch blödsinn..)

Und nur weil eine Nuss wie Sarrazin das blöken der herde anregt, muss man sich doch nicht instinktartig zum verteidiger (sownig wie zum kritiker) gleich ALLER muslime machen - da waren die Vorgänger von marx (Feuerbach) und dieser selbst weiter, als sie für erzkonservative und regredierende Kulturen auch wenigstens ein bisschen spott über hatten und frph waren wenn "alles ständische" von der kapitalistischen Produktionsweise hinweggefegt wäre/wird..!!

Lange rede.., wie du schon sagtest: letztlich immer eine Klassenfrage! daher zu kurz gegriffen, wer mentalitäten (der böse sarazener oder der dumme türke) angreift oder in den mittelpunkt stellt.

Der ganze Ansatz der Debatte ist doch schon völlig verfehlt. Genauso hätte man über Zigeuner Sinti und Roma den statistischen Stab brechen können – oder z.B. auch über Bild-Leser herausfinden können, dass sie weniger intelligent und gebildet sind und dafür evtl. mehr Kinder haben als der Durchschnitt...
Hm, ob ich das mal bei den Bild-Leserkommentaren posten sollte? Oder droht mir dann Lynchjustiz?


ja stimmt, bloß sind die wahrscheinlich eh out of interest weil überall verhasst und (m.o.w.) nie intergriert...
türken sind halt die meisten und die debatte ja uralt.
ab jetzt wirds aber sachlicher verspricht der spiegel online, und die cdu nutzt die gunst der stunde/stimme (des volkes), um aus dem tief hervorzukommen: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,715820,00.html

das problem ist: andere länder machens ja schon längst genauso (weil für nix tun gibbet nu mal nix..)

@txxx666: Nö, lass die Bildungsbürger mal lieber in Frieden. Ich lese hier eigentlich ganz gerne mit, wäre schade drum.

Zu spät - ich konnte es mir einfach nicht verkneifen

Tja, das war's dann wohl. Man sieht sich.

Tja, leider ist überhaupt nichts passiert, der Kommentar wurde gar nicht erst veröffentlicht (nicht einmal, als ich in einem 2. Versuch die "Bild-Leser" durch "RTL2-Zuschauer" ersetzt hatte...)


Und da hast du Glück gehabt!

Naja, Zensur ist bei Bild und Co. online an der Tagesordnung. Bei der Welt ist das epidemisch, da verschwinden ständig irgendwelche Kommentare.
senf dazu
 
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