Ente am Ende
Was für ein Volk
Sonntag, 4. Oktober 2015, 10:28

Einst Land der Dichter und der Denker,
Dann Land der Richter und der Henker,
Heut Land der Schlichter und der Lenker -:
Wann Land der Lichter? Wann der Schenker?

Robert Gernhardt: Reim und Zeit, Stuttgart 1990; S. 20

Deutschland beging gestern im Goldenen Herbst seine Silberne Hochzeit, und mangels Feierstimmung ließ ich mich dazu hinreißen (bzw. herab), mir im ZDF das „Quiz-Champion Deutschland Special“ anzutun. Moderiert wurde dieser passend zur sich drehenden politischen Wetterlage diesmal komplett flüchtlingsfreie Galaabend wie gewohnt vom notorischen Johannes B(aptist) Kerner. In der Runde saßen als angebliche Fachleute (immerhin) der sympathische und kompetente Bastian Pastewka („Film und Fernsehen“); Hubertus Meyer-Burckhardt („Literatur“ - dazu unten mehr); die äußerst beschwingte (und etwas beschwipst wirkende) Katarina Witt für den „Sport“ (sowie ansonsten unterrepräsentiertes DDR-Alltagswissen) als übrigens einzige Frau auf der Bühne (auch die fünf Kandidaten waren allesamt Herren der Schöpfung); Pastewka-Intimus Michael Kessler („Erdkunde“); und, wie immer ganz rechts, Professor(!) Guido („Bleiben Sie uns treu“, denn seine Ehre heißt Treue) Knopp, zuständig für „Zeitgeschichte“.

Die Dramaturgie: ausgefeilt (obschon für Kenner des Formats und der Sendezeit eigentlich absehbar). Zunächst scheiterten zwei Kandidaten jeweils im ersten Durchgang, der dritte (mit polnischem Nachnamen und Tabellenletzten-Nimbus als VfB-Stuttgart-Fan) sogar schon in der Vorrunde, in der es galt, binnen 60 Sekunden sieben Fragen richtig zu beantworten (zum Reglement siehe hier). Es folgte ein 33jähriger Unternehmensberater, nebenbei Mathe-Student und „Deutscher Quiz-Meister“, der seine mitgebrachte Freundin als „Frau Doktor“ vorstellte und sich dann auch gegen die fünf gesetzten „Experten“ durchsetzte – aber hier möchte ich etwas ausführlicher auf das eingehen, was beim ZDF offenbar unter Literatur (und unter „Expertise“) verstanden wird.



Die erste diesbezügliche Frage lautete: Bei welcher in Deutschland seit Jahrzehnten erfolgreichen Reihe heißt die erste Ausgabe „Der Kolumbusfalter“, und zur Auswahl standen (A) G-Man Jerry Cotton, (B) Walt Disneys Lustige Taschenbücher und (C) Die drei ???. Dass Hubertus Meyer-Burckhardt (dessen Name selber klingt und aussieht wie ein Rilke-Roman) dies im Gegensatz zum Kandidaten nicht wusste und auf Letzteres tippte (richtig war natürlich Antwort B), sei ihm verziehen; nicht jedoch die traurige Figur, die er bei der nächsten Frage machte. Die lautete nämlich, welches Werk mit den Zeilen „Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp“ (wer die Groteske in der Mediathek nachverfolgen möchte: ab Minute 73:20) begänne – (A) „Der Taucher“ von Schiller, (B) „Loreley“ von Heine oder (C) „John Maynard“ von Fontane. M.-B. (er)kannte nicht nur die vielfältig verballhornten Verse („Knappersmann oder Ritt“, „Knippersmann oder Ratt“ usw.) nicht, er entblödete sich ebensowenig, auf den halbwegs richtigen Einwand des (mit C gleichfalls falsch liegenden) Kandidaten, die Loreley begönne doch mit den Worten „Was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin“ zu entgegnen: „Jaja, nicht nur“ oder etwas ähnlich Ahnungslos-Aufgeblasenes. Auch an der dritten Aufgabe, anlässlich des Satzes „Eine alte Frau ist kein D-Zug“ zu wissen, wofür dort das D stehe, scheiterte er (wobei meine Frage, was dies eigentlich mit Literatur zu tun habe, leider ungestellt und unbeantwortet blieb); und dass dem als solcher angekündigten „Bücherverschlinger“ dann auch noch Harry Haller, die Hauptfigur aus Hesses „Steppenwolf“, unbekannt war, und er diesen anstelle von Oskar Matzerath in die ihm offenbar genauso wenig vertraute „Blechtrommel“ verlegte, wunderte mich dann schon gar nicht mehr allzusehr.

Jetzt aber zu Erfreulicherem: der fünfte und letzte Kandidat, ein 54jähriger Physiker und Lektor, kam angenehm unmodisch mit Holzfällerhemd, Hängewampe und Ehemann daher (was den in seiner Unlockerheit unter Homophobieverdacht zu stellenden Moderator im weiteren Verlauf der Sendung zu manch verschwiemelter Anspielung inspirierte) und entpuppte sich schnell als plaudertaschiger und extrem allgemeingebildeter Sympath, der am Ende nicht nur die Herzen des Publikums und wohl auch der meisten Experten (allen voran das von Frau Witt, obschon gerade Sport nicht seine stärkste Seite war), sondern auch den kompletten Durchgang sowie dann (nach langem, umständlichen, dalli-dalli-haften Umschlägefuchteln und Notargehabe) das zweite Stechen und somit die ausgelobten hunderttausend Euronen gewann – der alte schwule Schlunz triumphierte also am Ende über den gelackten Jungstreber; ein versöhnlicher Abschluss für eine streckenweise zweifelhafte Sendung in dieser kälter werdenden Zeit.

senf dazu


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