Ente am Ende
Mögliche Lösung für die „Flüchtlingskrise“
Montag, 26. Oktober 2015, 14:59

Völkerwanderungen hat es in der Geschichte der Menschheit immer gegeben. Als es den ersten Hominiden in Afrika zu voll wurde, haben sich einige davon (wahrscheinlich gezwungenermaßen) aufgemacht, sich anderswo niederzulassen, und weil die Menschen vergleichsweise clevere Tierchen waren, haben sie sich allmählich bis in die letzten Winkel verbreitet, bis in die Arktis und auf die Inseln im Pazifischen Ozean.

Auch Krieg, Vertreibung, Unterjochung und Ausrottung hat es gegeben, seit die bewohnbare Erde erst einmal besetzt war. Die Neandertaler waren sicherlich auch nicht begeistert, als die „modernen“ Cro-Magnon-Menschen bei ihnen auftauchten, und auch die jungsteinzeitliche Megalith-Kultur ging unter, als sich die Indoeuropäer – Kelten, Germanen, Griechen, Römer, Slawen, Perser, Inder u.a. – ausbreiteten.

Die Germanen haben auf der Flucht vor den Hunnen das Römische Reich zerstört und so das finstere Mittelalter eingeläutet, das erst ein knappes Jahrtausend später dank der Wiederentdeckung antiker Quellen, welche islamische Gelehrte Jahrhundertelang überliefert hatten, endete; und den Sachsen mussten ihre heute so bitter verteidigten christlich-abendländischen Werte ursprünglich auch noch mit dem Schwert beigebogen werden.



Ackerbau und Viehzucht, Schrift und Zahlensystem und eben auch das Christentum haben wir aus dem Vorderen Orient, wo heute der Islamische Staat Angst und Schrecken verbreitet. Die muslimischen Länder und Gemeinwesen sind heute untereinander aber mindestens genauso zerstritten, wie es Deutschland zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges und Europa bis vor 70 Jahren noch waren. Sicherlich: Perser, Araber und Türken stammen aus einst expansiven Kulturen, so wie Engländer, Franzosen, Deutsche, Spanier und US-Amerikaner auch. Aber nach Hunnen- und Mongolensturm und den Türken vor Wien waren es eigentlich vor allem die Europäer, die andere Länder und Völker erobert, unterworfen und kolonisiert haben – in Sibirien und Amerika, in Afrika und Australien und schließlich sogar die uralten Hochkulturen in Asien wie Arabien, Persien, Indien und China.

Das historische Gedächtnis der meisten stolzen oder um ihre hegemoniale Kultur besorgten Deutschen, die sich so gern „konservativ“ nennen und doch nur reaktionär sind, reicht wahrscheinlich kaum weiter als bis zum Ersten Weltkrieg; der Eine oder die Andere mag dann noch wissen, dass schon Martin Luther gegen Juden und Türken gehetzt und dazu aufgerufen hatte, aufständische Bauern „wie tolle Hunde“ totzuschlagen. (Das ist offenbar eine ungute deutsche Tradition, die endlich überwunden werden muss.) Neu sind dagegen der Hass auf die „Besatzer“ aus den USA und die Sympathie für den „starken Mann“ im Kreml, nicht ganz so neu der Hass auf Israel („All-Juda“), und urdeutsch ist offenbar die Angst vor Horden aus dem Süden und/oder Osten, seien es nun „Ungläubige“ oder „Glaubensbrüder“ (aus Russland, Rumänien, Serbien oder Nigeria). Die dulden wir nur, solange sie für kleines Geld unseren Dreck wegmachen, unsere Kinder und Alten betreuen, unseren Spargel und unser Schlachtvieh stechen und ansonsten möglichst unsichtbar bleiben.

Aber heute kommen die Fremden nicht als Eroberer, sondern als Vertriebene; sie sind keineswegs eine homogene Gruppe, sondern ein buntes Sammelsurium von Einzelschicksalen; und sie wollen „uns“ Autochthone mitnichten vertreiben oder unterwerfen, sondern nur einen Platz zum Überleben finden, halbwegs menschenwürdig, und wünschen sich vielleicht, ein bisschen an unserem Frieden und Wohlstand teilzuhaben und dabei vielleicht auch ein wenig von ihrer eigenen Kultur aufrechterhalten zu dürfen. Und da müssen kleinliche Bedenken wie z.B. die Befürchtung, der Immobilienwert des schmucken Eigenheims könnte darunter leiden, wenn nahebei eine Moschee oder eine Flüchtlingsunterkunft gebaut würde, eben auch einmal zurückstehen.



Sicherlich: viele von denen, die kommen, sind (z.T. zornige) junge Männer, und vor denen habe auch ich manchmal Angst (ob sie nun als fremdländische „Ghetto-Gangster“ oder schlimmer noch als betrunkene deutsche Hooligans daherkommen). Trotzdem: die heutige vernetzte Welt und die „Flüchtlingskrise“ haben mit den alten (und noch gar nicht wirklich überwundenen) Stammes- und Staatenkriegen von einst nicht mehr viel zu tun. Ein „Aufeinanderprallen der Kulturen“ gibt es so nicht mehr in der globalen Gesellschaft, in der es schwer fallen dürfte, irgendwo im Dschungel des Kongo oder des Amazonas, im Hochland von Neuguinea, auf einer Südseeinsel oder in einem Inuit-Iglu jemanden zu finden, der noch nie einen YouTube-Video gesehen hätte. Die Menschen sind so informiert und mobil wie nie zuvor. Nun muss es darum gehen, sie auch menschenwürdig zu versorgen – und zwar dort, wo sie sind (bzw. sein möchten).

Besitzstandswahrung wird nicht funktionieren

Es kann ja wohl auch nicht richtig sein, dass Europa sich jetzt nur die „Guten“, die Jungen, Gesunden und Qualifizierten aus der 2. und 3. Welt herauspickt und so wiederum andere Länder ausbeutet.

Vielleicht sollten wir statt dessen die Reicheren und v.a. die Superreichen konsequenter besteuern bzw. teilweise enteignen und das gesamte Land und die Ressourcen weltweit gerecht neu aufteilen...? Ein Mindest-Wohlstand auf dem Niveau eines hiesigen Sozialhilfeempfängers (mit Nahrung, Kleidung, Wohnung, Heizung, Zugang zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung, Strom und Internetzugang) wäre dann sicherlich heute schon für alle Menschen erreichbar.

Und wenn erst die ganzen Mittel, die heutzutage verschwendet werden – durch Konkurrenz, Grenzsicherung, Bürokratie, Überwachung usw. – in einer miteinander statt gegeneinander organisierten globalen Gesellschaft frei würden, könnte es uns vielleicht sogar gelingen, die wirklich menschheitsbedrohenden Gefahren (Überbevölkerung, Klimawandel usw.) gemeinsam abzuwenden.

Veröffentlicht auch im Rotfuchs 217 – Februar 2016, S. 13 - von der dortigen Redaktion auf die alte Rechtschreibung umredigiert und leicht bearbeitet unter dem Titel "Die Flüchtlingskrise aus historischer Sicht"

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