Ente am Ende
Apocalypto: Kritik geht fehl
Montag, 20. Dezember 2010, 11:13

Bezugnehmend auf die Kritik "Gibson-Film strotzt vor Fehlern" im Focus vom 05.01.2007; auch verlinkt im entsprechenden Wikipedia-Eintrag

Wenn wir einen Hollywoodfilm über das europäische Mittelalter oder den "Wilden Westen" sehen, sind uns die gewohnten Klischees heute oft sogar noch lieber als die meist profanere Wirklichkeit, wie sie uns die historische Forschung nahebringt. Und da dürfen auch Grausamkeiten drastischer dargestellt werden, als sie wohl in Wirklichkeit vorkamen, ohne dass daraus gleich der Vorwurf erwächst, es handele sich um ein „dummdreistes rassistisches Machwerk“.

Das Verdienst des Films „Apocalypto“ ist es, eine ferne (und viel weniger erforschte) Epoche und Weltgegend mit ihren Menschen und ihrer Sprache in den Fokus zu stellen. Wenn dabei der Versuch, dies auch sprachlich adäquat zu tun, linguistisch nicht ganz geglückt sein sollte, ist das bedauerlich für die etwa eine Millionen Menschen, die heute noch einen Nachfahrendialekt der alten Maya-Sprache beherrschen. (Nebenbei: Wer würde heute noch ohne Weiteres z.B. das gesprochene Frühneuhochdeutsch des 15. Jahrhunderts verstehen?) Für alle Anderen dürfte der gewünschte Effekt eingetreten sein: den Fremden ihre eigene Sprache zu belassen (und diese durch Untertitelung in einer gewissen Blumigkeit dann doch verständlich zu machen).

Vor allem muss dieser Film nicht als Kritik an der Maya-Kultur gelesen werden, die durch die europäischen Konquistadoren ihre Erlösung zu erfahren habe. (Eine solche Interpretation ist allenfalls verständlich angesichts manch anderer, patriotisch-chauvinistischer Hervorbringungen von Regisseur und Produzent Mel Gibson.) Viel eher handelt es sich um eine bildgewaltige (und sicher auch etwas naive) Zivilisationskritik, in der naturverbundene Waldbewohner (die „Baumschützer“ ihrer Tage?) ohnmächtig einer durchgedrehten städtischen Kultur der Machbarkeit und des Konsums anheimfallen, in der das einzelne Menschenleben nichts mehr zählt.

Großartig in diesem Zusammenhang die Bilder: zusammengedrängte Menschenmassen in der übervölkerten Stadt; sich ausbreitende Seuchen; Hungersnot durch Monokultur und Überbeanspruchung des Ackerbodens; gerodete Urwaldriesen; gesundheitsruinöser Bergbau; schließlich der Sklavenmarkt (auf dem die alte, „nutzlose“ Frau ausgemustert wird wie so viele Überfünfzigjährige heute); und natürlich der Tempelplatz, auf dem neben Religion vor allem auch Politik getrieben und massenhaft Menschenleben sinnlos geopfert werden (wie heute in Afghanistan?). Nicht zu vergessen der „Sport“, bei dem der Sensation zuliebe wieder Menschen zu Tode kommen müssen.

Wenn der dort entfliehende Protagonist über eine Hekatombe verfaulender, kopfloser Körper stolpert, erinnert dies wohl nicht von ungefähr an die Leichenberge von Auschwitz, wo die industrielle Ausbeutung und Vernichtung des Menschen zugunsten des Profits ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat.

senf dazu


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