Ente am Ende
Irgendwie symptomatisch
Donnerstag, 12. Mai 2011, 17:51

Vergangenheitsbewältigung à l'allemande: Da wird ein bettlägriger Tattergreis, der wohl von den Deutschen seinerzeit als Ukrainer zu Hilfsdiensten im Vernichtungslager Sobibor gezwungen worden war (und auch schon einmal irrtümlich sieben Jahre in einer israelischen Todeszelle gesessen hatte), pauschal des 28.060fachen Mordes für schuldig gesprochen - weil er damals (obwohl er die Möglichkeit gehabt haben soll) nicht geflohen war.
Das mag einigen Opfern und ihren Angehörigen eine Genugtuung sein - aber was ist eigentlich mit den Abertausenden und Millionen deutscher Nicht-Flüchtlinge, Mitläufer, Helfer und Helfershelfer (von eindeutigen Tätern und Nutznießern ganz zu schweigen)?

senf dazu



cassandra_mmviii, 2011.05.13, 13:03
Das "gezwungen" müsste bei "Trawnikis" belegt werden. Historisch belegen lassen sich nur freiwillige Meldungen.

Warum es für Beihilfe zu 28.000fachen Mord 5 Jahre gibt... das verstehe ich nicht. Beihilfe wird bestraft wie die Tat selber soweit ich weiss.

Und noch weniger verstehe ich die Aussetzung der Haft. Verdammte Socke- ja, der Mann ist 92 und ob er noch 5 Jahre lebt weiss echt keiner, aber was soll ein Schuldspruch wenn man danach sagt "lauf nur".

Die Stadtanwanltschaft Duisburg hat noch 66 Verfahren wg Holocaust-Verbrechen anhängig.

Die Konstruktion der Schuld durch Mitliedschaft in einer Vereinigung ist im deutschen Strafrecht möglich. Das hatten wir in meiner Studienstadt. Das war allerdings so löcherig, dass der Richter das Verfahren wg 129a beendete. Er fand die idee, jemand habe als 8jähriger Autos angezündet eher unüberzeugend, die konstruierte terroristische Vereinigung bestand also nicht und das war's.
Trifft aus die SS aber nicht zu.

Soweit ich weiß, waren diese Trawniki Kriegsgefangene, und die Meldung war dann wohl nicht ganz so freiwillig - aber es kann freilich sein, dass sie auch die Wahl hatten, als Hilfsunwillige jämmerlich zu verhungern.
Mir geht es allerdings auch weniger darum, für den alten Mann eine Lanze zu brechen, sondern um das schreiende Missverhältnis, einem kleinen kriegsgefangenen Rotarmisten qua pauschaler "Mittäterschaft" zigtausendfachen Mord anzuhängen, die vielen einheimischen SS- und Waffen-SS-Leute aber ihre (Krieger-)Renten genießen zu lassen.


Das ist wie üblich alles ein bisschen komplizierter.

Herr Demjanjuk war, bevor er US-Bürger wurde, Ukrainer. Ukrainer waren in der NS-Rassenpyramide deutlich über Russe und Polen angesiedelt. Wohnen wenn man auf die Karte schaut zwar mittemang, aber das ist dabei nicht so wichtig.

Die Ukraine war Teil des Черта оседлости ( hist. Ansiedlungsgebiet russischer Juden) und hatte eine lange Geschichte des Antisemitismus, auf den die Nazis aufbauen konnten. Das trug übrigens auch zur rassischen Einschätzung der Ukrainer bei.

Das da Druck ausgeübt wordén ist bezweifle ich keine Sekunde.
Aber die Meldung erfolgte immer noch freiwillig. Das hat was mit charismatischer Führung, eins der Kernprinzipien des NS und besonders der SS, unter deren ZUständigkeitsbereich die Trawniki fielen, zu tun.

Wenn man sich gemeldet hatte, musste man noch für geeignet befunden werden. Dabei wurden das körperliche Erscheinungsbild ebenso wie die"geistige Haltung" einbezogen, also was man so sagte über den Bolschewismus, das Weltjudentum etc.
Da Ukrainer, im Gegensatz zu Russen, sich helfenmütig gegenden Bolschewismus gewehrt hatten (ihr gutes Blut halt) und als zurückgehend auf die Kiewer Rus gesehen worden sind, war das für Ukrainer leichter als für Russsen.

Trawniki wurden nicht nur zur Bewachung in Todeslagern eingesetzt, sondern auch bei der Aufstandsbekämpfung im Warschauer Ghetto. Und dort scheinen sich nach Berichten von Überlebenden die Trawniki durch besonderen Einsatz ausgezeichnet zu werden. Stroop erwähnt das auch lobend.

Die Trawniki nur als Opfer zu sehen, die um dem Verhungern zu entgehen, halt mitmachten, ist zu einfach. Als "gutrassige" (wenn er diese Beurteilung nicht bekommen hätte, wäre er nicht Trawniki geworden) wäre er nicht so einfach erschossen etc worden.
Das ist die Konstruktion des "Befehlsnotstandes" oder der persönlichen Gefährdung, mit der immer argumentiert wird. Und zum Schluss sind 75% aller Deutschen der Meinung, einen aktiven Widerstandskämpfer in der Familie gehabt zu haben.
Bei dem Thema krieg ich schwer antideutsche Züge....


Ausserdem hat das Gericht anerkennt, und dadrauf beruht der Urteilsspruch, dass es sich bei Herrn Demjanjuk um "Iwan den Schrecklichen" handelt, der den Überlebenden in äusserst schlechter Ernnerung geblieben ist. Was etwas über seinen persönlichen Einsatz ausagt.

Also, laut Wikipedia-Biographie war er erst in der Roten Armee und dann Kriegsgefangener. Dass es auch Ukrainer (und nicht wenige) gegeben hat, die die Deutschen als "Befreier vom Bolschewismus" begrüßt und sich ihnen u.a. bei Pogromen angedient haben, ist mir auch bekannt, trifft auf diesen Fall aber wohl nicht zu.
Und der Spitzname "Iwan der Schreckliche" bezog sich auf einen Aufseher in Treblinka, für den Demjanjuk irrtümlich gehalten wurde und als dieser ja auch in Israel zum Tode verurteilt worden war, was aber dann nach Jahren revidiert wurde, woraufhin er dann auch (vorübergehend) wieder freikam...

senf dazu
 
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