Ente am Ende
Offener Brief
Montag, 19. September 2011, 18:25

Leserbrief zum Artikel Quappen und Quirlverleiher von Thomas von Steinaecker in der SZ vom 19. September 2011, S.14

Sehr geehrter Thomas von Steinaecker,

in Ihrer Rezession des illustrierten Sprachspiels Dudenbrooks schreiben Sie:

Möglich, dass (...) Jochen Schmidt deshalb einen besonderen Sinn für (...) Nonsens hat, weil er in einem inzwischen verschwundenen Land aufwuchs, in dem Surrealismus in gewisser Weise zum Alltag gehörte: in der DDR; ein Land, in dem die Not zwangsläufig erfinderisch machte.

Lassen Sie sich bitte folgendes gesagt bzw. geschrieben sein: der Alltag in der DDR war mitnichten bedeutend "surrealer" als der im real existierenden Kapitalismus, in dem Sie aufgewachsen sind und in dem wir nunmehr alle leben müssen; und auch die Not war dort nicht wesentlich größer (eher geringer) als hier und heute.

Mit Verlaub: ich finde, derart abgedroschene und obendrein törichte Klischees sind Ihrer als Schriftsteller unwürdig.

Mit freundlichen Grüßen usw.

senf dazu



psverlag, 2011.09.21, 15:23
Ich finde es surreal, einen Personalausweis, also ein Betriebszugehörigkeitsdokument, an Stelle eines Passes oder ähnlichen Dokuments zu besitzen. Ebenso surreal sind die satanistischen Schmierereien mit Hornochse mit Dornenkrone, dazu Penis und Vagina, mit denen die Bundesdruckerei oder wer auch immer dieses Dokument verzierte. Noch surrealer ist, dass in der Schule Hitler mit seiner Ostfront zum Raubkrieger erklärt wird, während heutige deutsche Politiker ihre Söldner ruhig bis zum Hindukusch entsenden dürfen und sich dabei als Friedensengel vorkommen. Dass die gewaltigen Staatsschulden Deutschlands heute von einer süßen kleinen Finanz GmbH mit kaum mehr als dem haftenden Mindestkapital geschultert werden, ist banktechnisch ein Wunder, also surreal. Dass eine deutsche Kanzlerin über eine geglückte Ermordung einer Familie Bin Laden glatt in Verzückung gerät, ist für eine Pfarrerstochter auch reichlich surreal, wenn wir von traditionellen Standpunkten deutscher Außenpolitik schon einmal absehen. Und dann ist da noch dieser Fall des Euro. Staaten, die ihre Schulden längst nicht mehr zahlen können, die bestraft man wie? Man fordert einfach einen Strafzuschlag. Dieser Glaube an die zeitnahe Zahlung von ausgebliebener Rate plus Mahngebühr scheint mir ebenfalls surreal zu sein - nicht nur beim Schuldner Griechenland. Doch in einem vom Wahn des möglichen ewigen Wachstums befallenen Wirtschaftsraum fallen meine wenigen Beispiele von Surrealismus sowieso nicht weiter auf. Millionen Lemminge können nicht irren! Unter der SED machten sie eine führende Rolle der Partei abwärts mit und unter der CDU verzocken sie heute ihre Rente sowie den übrigen Sozialstaat. Und amüsieren sich über die Idioten aus der alten DDR.

Dem kann ich (mit Abstrichen bei Baphomets Pimmelkopf auf den Persos) im Großen und Ganzen zustimmen.
senf dazu
 
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