Da ich mein Lebtag (obwohl seit über 20 Jahren unstolzer Inhaber einer Fahrerlaubnis) nie ein Auto mein Eigen nannte, geschweige denn ein anderes motorisiertes Gefährt, war ich früher (als ich dies noch zu erschwingen vermochte und man für den Erwerb seines Fahrscheins noch kein Studium der Ökonomie und Verfahrenstechnik benötigte) oft und gern mit der Bahn unterwegs; so verbrachte ich z.B. einen Sommerferienmonat kurz nach meinem 16. Geburtstag mit zwei Schulfreunden als Inhaber des sogenannten "Tramper-Tickets" auf und nahebei dem Schienennetz der DB (die europaweite Variante "Interrail" war uns damals zu teuer), und im Schuljahr 1992/1993 (das für mich ein Lehrerjahr war) pendelte ich an die 20 Mal von Leszno über Poznań nach Düsseldorf und zurück, wobei ich erstere Strecke stets nächtens im "Moskau-Paris-Express" zurücklegte (was oft recht abenteuerlich war, u.a. auch, was den Zustand der jeweils bereits seit zwei Tagen sich auf Reisen befindlichen Bordtoiletten anbelangte), während ich retour meist tagsüber mit einem zusätzlichen Umstieg in Berlin unterwegs war...
Auf diesen jeweils etwa 15stündigen Fahrten entstanden zwei Sujets für in der Bahn spielende Kurzgeschichten, die beide leicht surreal bis unheimlich waren. Die nächtliche Geschichte sollte ungefähr so gehen:
Ein Mann (= mein alter ego natürlich) steigt an nichtgenanntem Ort spät abends in einen Zug, freut sich, gleich ein leeres Abteil vorzufinden, macht es sich dort gemütlich, zieht die Vorhänge zum Gang zu (ja, das war noch vor der Zeit der Großraumwagen) und beginnt zu dösen... im Halbschlaf hängt er so seinen Gedanken nach, schläft dabei zwischendurch immer mal wieder ein, draußen ist es stockduster, nur die Streckenpositionslichter ziehen in immergleichen Abständen vorbei.
Nach einer beträchtlichen Weile (seine Uhr ist stehengeblieben) wundert sich der Mann, dass der Zug nicht irgendwo mal einen Halt einlegt, ja, nicht einmal durch Bahnhöfe oder Städte durchzufahren scheint, und auch sein Fahrausweis noch gar nicht kontrolliert wurde; außerdem muss er aufs Klo. Auf dem Weg dorthin stellt er fest, dass die anderen Abteile in seinem Waggon allesamt leer sind, und mit einem unbehaglichen Gefühl lässt er sich wieder auf seinem Platz nieder... nach wiederum einer Weile (seinem Zeitgefühl nach müsste es eigentlich schon längst wieder hell werden) und mit langsam aufsteigenden Angstgefühlen beschließt er, sich auf die Suche nach Mitreisenden oder dem Schaffner zu machen. Er schreitet den Zug ab, Waggon nach Waggon, nirgends eine Menschenseele...
An dieser Stelle wusste ich nicht mehr so recht weiter. Sollte der Reisende im letzten Abteil doch noch eine Person vorfinden, vielleicht einen uralten Greis, der erratische und/oder philosophische Weisheiten von sich geben könnte? Oder sollte ich stattdessen einen geheimnisvollen Zugbegleiter einführen, etwa so einen wie den vom genialischen Crispin Glover gespielten Maschinisten am Anfang von Dead Man? Wie gesagt: mir fiel nichts ein, und die Geschichte blieb ungeschrieben. (Vielleicht waren meine Zugfahrten doch nicht lang genug, und ich sollte einmal mit der Transsib verreisen...)
Die zweite, tagsüber beginnende Geschichte sollte ungefähr so gehen: wiederum ein Mann, allerdings schon recht betagt (= ein späteres alter ego?!), steigt in der Provinzhauptstadt aus dem Flugzeug; er hatte als junger Mann seine Heimat verlassen, jahrzehntelang in Übersee gelebt und gut verdient; nun will er ganz sentimental noch einmal die Stätten seiner Jugend aufsuchen.
Er fährt zum Hauptbahnhof und nimmt die alte Linie zur nächsten größeren Stadt, die erfahrungsgemäß über sein kleines Heimatörtchen (fiktiver Name: "Strauchen") führt. Er hängt alten Kindheitserinnerungen nach, denkt an seine Familie, zu der er jeglichen Kontakt abgebrochen hatte, und ob er wohl noch jemanden aus seiner Verwandtschaft vorfinden werde... und auch er döst ein, eingelullt vom monotonen Rattern der Schienen, dem leichten Wiegen der Waggons...
Als er erwacht, ist er bereits am Zielbahnhof des Regionalzuges angekommen. Wie ärgerlich! Gleich setzt er sich in den auf dem gegenüberliegenden Gleis wartenden Zug, holt sich noch einen starken Kaffee, die Sonne steht schon tief überm Horizont, bald wird es dunkel... er ist diesmal ganz konzentriert, wartet darauf, dass sein Ziel ausgerufen wird, studiert an allen Haltepunkten die Ortsschilder, aber vergebens: wieder landet er unverrichteter Dinge an der Endstation.
Er will sich bei der Auskunft erkundigen, denn offenbar wird Strauchen auf dieser Linie nicht angefahren - aber siehe da, auch keine andere Bahnverbindung führt mehr dort hin.
Leicht befremdet und auch etwas verärgert geht der Mann zum Taxistand und verlangt, nach Strauchen gebracht zu werden. Aber das ist doch zu dumm: der Fahrer kennt den Ort auch nicht. Er nennt ihm die grobe Richtung, und sie fahren los. Aber seltsam: auch unterwegs kein Hinweisschild, nichts... am Ende geht der Mann zu Fuß weiter (man darf sich das Ganze jetzt ungefähr so vorstellen wie die Anfangsszene von American Werewolf im englischen Hochmoor), es fängt an zu schneien, er kehrt in eine einsame Gaststätte ein, auch dort kennt keiner diesen Ort namens "Strauchen", er zieht wieder los, hinaus ins Schneetreiben...
Tja, irgendwie wollte sich diese Geschichte am Ende auch nicht so recht runden und blieb unvollendet.
Aber immerhin konnte ich die Grundideen hier nochmal verbraten.
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