Ente am Ende
Translatologische Notiz
Donnerstag, 22. Dezember 2016, 14:37

Il n’y a qu’un problème philosophique vraiment sérieux : c’est le suicide. Juger que la vie vaut ou ne vaut pas la peine d’être vécue, c’est répondre à la question fondamentale de la philosophie.

So beginnt Le mythe de Sisyphe ("Der Mythos des Sisyphos"), der "Versuch über das Absurde" von Albert Camus. In der deutschen Fassung werden diese beiden Sätze meist so wiedergegeben:

Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Sich entscheiden, ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden oder nicht, heißt auf die Grundfrage der Philosophie antworten.

Dies ist insofern problematisch (wenn nicht inakzeptabel), als "Selbstmord" ein (negativ) wertender Begriff ist - Mord gilt schließlich als das strafwürdigste aller Verbrechen (das deshalb auch niemals verjährt). Ich als leidenschaftlicher Hobby-Übersetzer plädiere daher dafür (auch wenn es niemanden interessieren dürfte), das Wort "suicide" originalgetreu als "Suizid" ("Selbsttötung") zu übertragen (denn "Freitod" wäre vielleicht fast schon wieder ein wenig zu euphemistisch).
Und wo ich schon dabei bin: "que la vie vaut ou ne vaut pas la peine d’être vécue" heißt streng genommen nicht "ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden oder nicht", sondern "ob das Leben der Mühe wert ist oder nicht" - denn eine wahre Mühsal ist es ja oft...

Aber nicht vergessen, zu welchem Schluss Camus kam:

Il faut imaginer Sisyphe heureux ("Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen")* - und ab heute werden die Tage wieder länger, und das annus horribilis 2016 ist auch endlich bald vorbei; auf bessere Zeiten!
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* Auch diese Übersetzung ist eigentlich unangemessen; einigermaßen wörtlich müsste es heißen: "Man muss sich Sisyphos glücklich vorstellen"!

senf dazu


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