Ente am Ende
Ein paar unsortierte (und leicht verspätete) Gedanken zur Causa Lindemann/Rammstein
Mittwoch, 14. Juni 2023, 14:02

Wäre ich ein paar Jahre jünger gewesen, wäre ich vielleicht Rammstein-Fan geworden - immerhin kamen die Mitglieder (v.a. der Flake) wie ich vom Punk her (und in der DDR war ich in der zweiten Hälfte der 1980er regelmäßig im Urlaub). Allerdings war ich schon fast 30, als die Band (mir) bekannt wurde, und da hatte meine jugendliche Begeisterung für Musik bereits etwas nachgelassen. Immerhin habe ich ihren brachialen Sound durchaus geschätzt (wie wohl auch David Lynch, der das Lied "Rammstein (Ein Mensch brennt)" in seinem Film "Lost Highway" verwendete); die Leni-Riefenstahl-Ästhetik erinnerte mich an die ebenfalls goutierten Bands Laibach ("Neue Slowenische Kunst") und DAF, und den Vorwurf, selbst rechte Ansichten zu vertreten, haben sie doch (u.a. mit dem Video zum Stück "Deutschland") wohl eindeutig widerlegt. Auch die Bühnenshow (die Pyrotechnik und der Ritt auf dem schaumsprittzenden Riesenpimmel, s.o.) fand ich aus sicherer Entfernung vor dem Bildschirm durchaus erheiternd.

Die Gedichte von Till Lindemann fand ich nicht so gut, hatte mir das Buch aus der Bücherei besorgt, aber dann (trotz oder sogar wegen der - kalkuliert? - "schockierenden" Inhalte) uninteressant gefunden und nicht mal komplett durchgelesen. Zu seiner öffentlichen Rolle gehört ja offenbar das martialische Potenzgeprotze, das mir allerdings in dieser Übertriebenheit immer ironisch gemeint erschien. Jedenfalls passt in das Bild, das ich mir von Combo und Sänger gemacht habe (und das natürlich auf viel PR und wenig echten Informationen beruht) die Geschichte mit den KO-Tropfen nur schlecht hinein.

Angenommen, dass dieser Herr von inzwischen 60 Jahren es immer noch nötig hat (bzw. meint, es seinem Image schuldig zu sein), jeden Abend nach einem sicher auch aufreibenden Konzert noch seriell Geschlechtsakte zu vollziehen, anstatt sich mit einem gesunden Getränk und einem guten Buch frühzeitig ins Bett zu begeben - dann hätte er doch höchstwahrscheinlich kein Problem, für die Realisierung dieses Rock-n-Roll-Klischees genügend Freiwillige (ist der Begriff "Groupie" eigentlich noch okay?) zu requirieren, ohne dafür wie ein verklemmter unattraktiver "Incel" auf hinterhältige Drogeneinflößungen zwecks nachherigem Missbrauch der betäubten Opfer angewiesen zu sein.

Sollte solches allerdings tatsächlich vorgekommen sein (und sei es auch nur im Einzelfall und nicht unbedingt systematisch), dann wäre dies für mich ein klarer Fall von Körperverletzung und somit im Zuständigkeitsbereich der Justiz! (Früher fand ich die - nie umgesetzte - Idee, den Großeltern zu Weihnachten Haschkekse vorzusetzen oder allgemein LSD ins Trinkwasser zu mischen lustig, aber das hat sich geändert.)

(Nebenbei bemerkt: Die verbreitetste Substanz, auf deren Konto wohl auch die meisten hinterher bereuten Aktionen und Erfahrungen sexueller und nichtsexueller Art gehen, sind wohl immer noch die alkoholischen KO-Tropfen - und die geben sich viele ja oft freiwillig...)

Nun habe ich auch ein (zugegebenermaßen ziemlich einseitiges) Bild von gewissen sogenannten "Influencern", die für ein bisschen "Fame" und entsprechende "Likes" so ziemlich zum allem bereit sind, und obendrein habe ich leider auch persönlich sehr unschöne Erfahrungen mit unzutreffenden Anklagen* gemacht; insofern finde ich die allfälligen Vorverurteilungen, aus der verständlichen, aber nicht immer gerechtfertigten Haltung heraus, dem (vermeintlichen) Opfer sei grundsätzlich zu glauben, nicht nur in diesem Fall ziemlich übel. (Noch übler freilich ist die Haltung gewisser "Fans", alle Anschuldigungen von vornherein als komplett erlogen abzutun und den betreffenden Frauen den Tod oder Schlimmeres zu wünschen - Stichwort "Victim Blaming") Vielleicht sollten alle, die nicht selbst dabei waren, erst einmal abwarten, was die hoffentlich "rückhaltlose" Aufklärung ergeben wird; aber dafür ist es - offenbar jetzt ja auch für mich - bereits zu spät.

Ganz schlimm finde ich allerdings, dass (so z.B. kürzlich in der 3SAT-"Kulturzeit") gefragt wird, ob es überhaupt noch möglich sei, ein Ramstein-Konzert, einen Johnny-Depp-Film oder eine Ausstellung von russischen Künstlern stattfinden zu lassen; da wird das (von den Rechten gerne für ihre braune Agenda verwendete) Schreckgespenst "Cancel Culture" auch für mich zum ganz realen Horror.
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* Der vielleicht wertvollste Tipp, den mir mein Alter (ehemaliger Anwalt) mit auf den Weg gegeben hat: "Steig niemals alleine mit Minderjährigen in einen Fahrstuhl!"

senf dazu


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