Ente am Ende
Tribalismus
Donnerstag, 13. März 2025, 07:55

Anteil ethnischer Russen in ukrainischen Oblasten (2001)

Wir alle sind Individuen und als solche von vielerlei Zugehörigkeiten geprägt. So gab es z.B. eine Zeit in meiner Jugend, da bin ich zu allen erreichbaren Punk-Konzerten gepilgert (und auch, weil es so viele davon gar nicht gab, zu manch anderen Bands); damit war ich Mitglied einer m.o.w. weltumspannenden Bewegung, wohingegen ich damals niemals in eine Disco gegangen wäre. Gleichzeitig mochte ich auch die Musik von Inti Illimani, Harry Belafonte, den Beatles, Smetana, Tschaikowski...

Ich liebte die Texte von Charles Bukowski, Lew Tolstoi und Franz Kafka; die Filme von Stanley Kubrick, David Lynch und Helge Schneider; die Darstellungen von Cary Grant, Beatrice Dalle und George Clooney - mit all diesen Vorlieben hatte und habe ich sicherlich Gesinnungsgenossen auf der ganzen Welt. Solcherlei Vorlieben (und auch Abneigungen) machen in Summe unsere jeweilige unverwechselbare Identität aus.

Ich bin nicht besonders religiös, aber fasziniert von legendären charismatischen Persönlichkeiten wie Laotse, Buddha und Jesus - und auch damit habe ich wohl international bzw. global Anknüpfungspunkte.

Es gibt auch regionale Prägungen, und nicht alle davon sind gleich verdächtig: Die Liebe zu einem Fußballverein etwa (es muss ja nicht der heimische sein) ist unter "Linken" sicherlich fast genauso verbreitet wie unter Rechten (wenn er sich bei Ersteren auch eher nicht in der Form zeigen dürfte, gegnerischen Fans Gewalt anzutun). Verbundenheit mit dem eigenen "Kiez" ist nicht per se nationalismusverdächtig; und wenn es um das Selbstbestimmungsrecht kleinerer und/oder unterdrückter Völkchen (Inuit, Yanumami, Kurden) geht, sind ja auch viele Linke gerne mit im Boot.

Natürlich sind einige dieser Prägungen auch durch Sprache vermittelt. Ich verehre die Verse von Robert Gernhardt, Heinrich Heine und Friedrich Schiller, die Sprachkunst von Lisa Eckhart, Sibylle Berg und Martina Hill, den Gesang von Rainald Grebe, Marc-Uwe Kling und KIZ. Es soll sogar schon vorgekommen sein, dass ich mich im Urlaub gefreut (wenn vielleicht auch öfter geschämt) habe, wenn ich im Ausland unverhofft auf "Landsleute" getroffen bin.

Die Zugehörigkeit zu einem Staat oder einer "Nation" (was nicht dasselbe ist) ist dagegen gar nicht so entscheidend wichtig, wie es uns oft weisgemacht wird; ihre Bedeutung sollte sich darauf beschränken, dass wir in unserer "Muttersprache" Zugang zu Bildung und staatlichen Leistungen (Verwaltung, Mitspracherecht) haben. Wer darüber hinaus Gemeinsamkeiten (und v.a. Unterschiede zu "anderen Völkern") postuliert, führt Finsteres im Schilde. (Merke: Gemeinsamkeiten sollten nicht in Gemeinheiten gegenüber Anderen umschlagen.)

"Der angegriffenen Ukraine gebührt unsere uneingeschränkte Solidarität im Krieg gegen Russland", tönt es hierzulande von offizieller und öffentlicher Seite seit über drei Jahren unisono über fast alle Kanäle, und das klingt ja erst einmal nicht verkehrt. Wer oder was aber ist "die Ukraine" (und wer sind "wir", von deren Solidarität da die Rede ist)...? In Wirklichkeit ist ja auch die Ukraine ein großes Territorium mit einst über 36 Millionen Bewohnern, und selbst diejenigen, die sich dort jetzt im Krieg gegen Russland befinden (mit unterschiedlicher Motivation und nicht immer ganz unfreiwillig), sind ja in sich gleichermaßen gespalten und hin- und hergerissen wie der Rest der Bevölkerung, genauso wie auch US-Amerikaner, Polen, Türken, Syrer oder Deutsche; und diejenigen, die hier so gerne als Helden gefeiert werden, nämlich die Soldaten an der Front, sind nicht nur eine kleine (und wahrscheinlich relativ radikale) Minderheit, sondern vor allem auch arme (und z.T. auch dumme) Schweine (was natürlich für die andere Seite genauso gilt).

Wie viele mag es geben, die laut Pass Ukrainer, von der Zunge her Russen, im Herzen orthodoxe Christen und im Kopf Kapitalisten oder Nationalisten oder Kommunisten oder Pazifisten oder Kriegswillige (und inzwischen kaputte, zynische Killer geworden) sind...?

Wir in der BRD bekommen ja hauptsächlich stolze Ukrainer präsentiert, welche die Russen auf den Tod hassen, weil sie angeblich jahrhundertelang unterdrückt wurden. Was aber ist mit denen, die aus "gemischten" Familien stammen und sich lieber an die gemeinsame Geschichte und Kultur erinnern? Wer diese zu Wort kommen lässt, verbreitet natürlich gleich "Putins Propaganda"...

(Man stelle sich einmal spaßes- bzw. erkenntnishalber vor, durch einen Treppenwitz der Weltgeschichte wären Bayern und/oder Baden-Württemberg durch verlockende Angebote aus dem "reichen Westen" dazu gebracht worden, sich für unabhängig zu erklären, und würden nun über die vergangene Unterdrückung und Ausbeutung durch die "bösen Preußen" lamentieren...)

(Zur (Vor-)Geschichte des Ukraine-Krieges habe ich ja bereits früher an dieser Stelle Einiges geschrieben; und was die Verbreitung von Ukrainern und Russen auf dem Staatsgebiet angeht, verweise ich auf die beiden Karten auf dieser Seite; Quelle: Wikipedia.)

So abgeschmackt es klingt und so alt die Erkenntnis auch ist (auch wenn sie immer mal wieder in Vergessenheit zu geraten droht): Es gibt nur ganz wenige Menschen, die von einem Krieg profitieren, und das sind die Reichen - und damit meine ich nicht unsere hiesigen Mittelständler, die bei solchen Worten gleich um ihre zwei Jahresurlaube oder ihr Wochenendhäuschen im Grünen fürchten, denn solcherlei könnten wir Alle auf der Welt haben, wenn wir die politische Macht und den Besitz nur endlich gerecht aufteilen und uns gemeinsam gescheit organisieren würden.


Bei der Parlamentswahlen 2007 dominierte die prorussische Partei der Regionen den Süden und Osten und der prowestliche Blok Juliji Tymoschenko den Westen

senf dazu


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Zur Petition Weiterentwicklung: Demokratie
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