Ein mittelloser und obendrein stinkfauler Arbeitsloser wie ich erlebt ja generell nicht viel, und so sah ich mich (hier und im analogen Leben) schon des öfteren gezwungen, statt von realen Erlebnissen aus meiner ganz persönlichen Traumzeit zu berichten.
Heute bzw. gerade eben allerdings träumte mir von einer (wenn auch schon 13 Jahren zurückliegenden) sehr erhebenden Episode meiner reiferen Jugend, nämlich dem Studentenstreik 1997.
Heute wird ja viel von neuen sozialen Bewegungen und einer wiedererstarkenden Protestkultur gesprochen - aber anders als in London und in Athen, im Wendland oder in Stuttgart tut sich hier in Düsseldorf nicht viel - um nicht zu sagen: gar nix!
Da muss es erlaubt sein, an diese (wohlweislich nicht die einzigen) glorreichen Tage der Düsseldorfer Studentenschaft zu erinnern. Unvergessen, wie z.B. unser Philo-Fachschafts-Kollege Bene, ganz wie weiland Rudi Dutschke, eine zaudernde Vollversammlung mitriss und geradezu elektrisierte, indem er den Massen im Brustton der Überzeugung (und des gelernten Operntenors, wenn ich mich recht entsinne, oder war es Obertonsängers?) entgegenrief: "... und deshalb ist es jetzt so wichtig, dass wir weiterstreiken..." (donnernder Applaus). Ebenso unvergessen, wie im Roy-Lichtenstein-Saal seinerzeit ein Hammelsprung stattfand, ebenfalls mit dem Ergebnis, weiterzustreiken; wie sich ein Zug wackerer Trommler durch die BWL-Seminare schlängelte, um diese unsolidarischen Streikbrecher am weiterstreben zu hindern; wie die V.i.S.d.P. des damals täglich erscheinenden Streikorgans (Name leider vergessen) seinerzeit vom örtlichen RCDS angezeigt wurde, weil meine Wenigkeit in einem kleinen Grundsatzartikel geschreiben hatte, dass eine gemeinschaftliche Gesetzesübertretung im Dienste des Guten (lies hier: Widerstandes) eine angenehme und nützliche Erfahrung darstellen könne; wie sich eine kleine Abordnung übermüdeter und dennoch unermüdlicher Studis mit riesigen Djembés und einer ebenso riesigen Portion Enthusiasmus munitioniert in aller Frühe aufmachte, um den Protest ("Bildung für alle - jetzt und sofort!") auch in die umliegenden (und auch weiter entfernten) Schulen zu tragen, bis sich der Zug am Ende mit dem spontan abgewandelten Slogan "Haschisch für Alle - sonst gibt's Krawalle!" einem neuen, wenngleich nicht minder wichtigen Anliegen zuwandte; wie ein großer Pulk eines Abends in eine weit entfernte niederrheinische Ortschaft (Name leider schon wieder vergessen) einfiel, um daselbst mit Lärminstrumenten, Plakaten und aufgeklebten Riesenaugenbrauen eine Wahlkrampfveranstaltung des damaligen Bundesfinanzministers Theo Waigel zu stürmen und zweckzuentfremden; und, für mich persönlich, wie ich am Tage der ersten Vollversammlung, als der Streik beschlossen wurde, berauscht von der revolutionären Stimmung (und sicher auch durch Wein und Sportzigaretten), meine spätere Gattin kennenlernte.
Tempi passati ma dolcissimi...
Ach, heute ist übrigens Buß- und Bettag. In Bayern bedeutet dies z.B., dass die Eltern mit dem Bus (oder sonstwie) zur Arbeit müssen, während die Kinder aber schulfrei haben und im Bett liegen bleiben dürfen. Ansonsten würde ich (wäre ich so disponiert) dafür beten, auch noch einmal Teil einer Jugend- oder wenigstens Protestbewegung sein zu dürfen, ohne das hinterher allzu sehr büßen zu müssen.
Zum Abschluss dieser Litanei gibt's hier noch das Streikpostenlied der unvergessenen (wieder mal) Joint Venture (†)
ein Dozent erklärte, wenn die englischen Bergarbeiter so gestreikt hätten wie wir, dann wären auch noch deren Unterhosen "snatched by Thatcher" und bis heute keinen Schritt weiter, wir mögen das bitte mal richtig machen und die Türen zumauern, Streikbrecher werden vermöbelt bis sie es lassen. So ginge das, was wir hier täten wäre Kinderkram und nichts halbes und nichts ganzes.
Zum Zumauern der Seminartüren mochte man sich aber nicht entscheiden, und noch viel weniger zu gewalttätigen Handlungen gegen Mitstudierende, die ja immerhin Examen machen mussten und so, daher wollte man lieber Streikposten beziehen.
Die erste Schicht (ab morgens um 6) übernahm Verbindungsstudent X mit der Begründung "Ihr Zecken kommt doch eh nicht aus dem Bett" und er und seine Bundesbrüder verteilten dann Kaffee und Kuchen an die Putzfrauen und sagten ihnen, hier müsste heute nicht geputzt werden. Das arbeitende Proletariat konnte mit dieser Sachlage wohl ganz gut leben.
Ansonsten wurde der neuen Basisgruppe von der alten Basisgruppe gesagt, sie mögen sich bitte nicht mehr Basisgruppe nennen. Die neue BG verteilte Kuchen an Dozenten und war deswegen konterrevoutionär.
Haha, ja - solche alten Achtundsechziger-Dozenten, die einem erstmal erzählen wollten, wie sowas richtig gemacht werde, hatten wir auch - bloß haben die komischerweise nicht mitgestreikt ("Wir dürfen ja leider nicht!" ; )
Der gleiche Dozent hat auch mal seine völlig zerfledderte Bibel auf den Tisch vorne geworfen "Meine Damen und Herren, ihre Wochenend-Lektüre" und jeden Einwand wie "ich glaub aber nicht an Gott" weggewischt mit: "Das müssen Sie auch gar nicht, Sie sollen doch nur ein Buch lesen" und dadrauf hingewiesen, dass dieses Buch mehr Literatur inspiriert habe als jedes andere, das meist zitierte Werk der Welt ist und von es daher für eine Literaturwissenschaftler unerlässlich sei, es zu lesen und auch bitte wiederzuerkennen, wenn man es trifft.
Das literaturwissenschaftliche Gebot der Bibelkenntnis teile ich zwar - aber ob da ein Wochenende nicht doch etwas knapp bemessen ist?
"Der Artikel ist auf Italienisch, sprechen Sie das?"
"Nein, leider nicht"
"Dann lernen Sie es beim Lesen, Sie können ja Latein, das klappt schon."
"Spricht jemand von Ihnen Krimgotisch?"
"Sie können wirklich kein Griechisch? Da entgeht Ihnen aber was!"
Jah ni briggais uns in fraistubnjai, ak lausei uns af þamma ubilin...
Mein Traum ist, einmal im Leben Partisan zu sein. Wenn schon mein Großvater viele Jahre damit verbracht hat, solche umzubringen.
Aber das wird noch.
Wenn ich nur rausfinden könnte, welcher Sänger das in seinen Konzerten gesagt hat.
Oh, vielen Dank für die Blumen - das schmeichelt mir ja sehr : )
Und stimmt schon: Der alte Buk war wohl gar kein so fauler Strick, wie er zuweilen kokett behauptete; so manchen Knochenjob hat er ja auch sehr anschaulich beschrieben...
das besondere war ja dieses irisierende flirren zwischen macht- und kulturorientierter bewegung ("wie bei 68!";-)
nach der demobilisierung haben wir joint venture eingeladen, nur mal so für den kulturellen faktor, wenn das mit der macht schon nicht klappte...
dafür habe ich in den wenigen wochen so viele frauen kennengelernt wie zuvor in meinem ganzen leben nicht. (wenn ich schlussendlich auch keine von ihnen heiratete.)
Ach - darf ich fragen, an welcher Uni das war? (In Düsseldorf haben Join Venture auch mal in der Mensa gespielt, das war aber noch vor dem Streik, wenn ich mich recht entsinne...)
Und by the way: Die früher legendären -Parties gibt es auch schon seit Ewigkeiten nicht mehr - ersatz- und kommentarlos abgeschafft.
➥ Zur Petition Weiterentwicklung: Demokratie
➥ Das Prinzip Permanentes Plebiszit
We were all just hanging around waiting to die and meanwhile doing little things to fill the space.
Charles Bukowski