Ente am Ende
Ein Zeichen setzen ("...")
Donnerstag, 21. Juli 2011, 18:34

Kürzlich musste ich zu meiner Betrübnis erfahren, was Theodor W. Adorno, der große Frankfurter Schulmeister, in seinen Noten zur Literatur (I, Berlin und Frankfurt a.M. 1958) über mein Lieblingssatzzeichen, die (m.o.w.) bedeutungsschwangeren drei Pünktchen am Satzende, Vernichtendes geäußert hatte:
Die drei Punkte (...) suggerieren die Unendlichkeit von Gedanken und Assoziation, die der Schmock nicht hat, der sich darauf verlassen muss, durchs Schriftbild sie vorzuspiegeln.
(Zum Troste gereichte mir dann sogleich die Information aus derselben Quelle, dass sowohl Heidegger sein Hauptwerk Sein und Zeit mit diesem inkriminierten Tripelpunkt begann als auch Derrida seine kaum minder epochale Grammatologie damit ausklingen ließ...*)



Ein anderes Diktum eines anderen Großen, nämlich von Victor Klemperer (in seinem genial-imposanten LTI – Notizbuch eines Philologen), möchte ich hingegen nicht gänzlich unkommentiert lassen; er schrieb nämlich über die inflationären Gänsefüßchen in der Sprache des Dritten Reiches:
Chamberlain und Churchill und Roosevelt sind immer nur „Staatsmänner“ in ironischen Anführungszeichen, Einstein ist ein „Forscher“, Rathenau ein „Deutscher“ und Heine ein „deutscher Dichter“.
Diese Praxis (die auch die BLÖD-Zeitung jahrzehntelang übte, indem sie immer nur von einer „DDR“ schrieb), halte ich allerdings nicht für genuin nazistisch, sondern für ein legitimes (und so auch von mir fleißig eingesetztes) Stilmittel der Distanzierung gegenüber einem hoheitlichen und ein falsches Denken befördernden Sprachgebrauch - als Beispiel nenne ich das Begriffspaar "Arbeitgeber" (i.e. der Ausbeuter, der sich tatsächlich die Arbeitskraft "seiner" Mietsklaven aneignet, also nimmt) vs. "Arbeitnehmer" (eben dieser Mietsklave bzw. Lohnarbeiter, der seine Arbeitskraft gezwungenermaßen - nebst einem von Marx beschriebenen Mehrwert - hergibt)...*
* Jetzt erst recht!

senf dazu



cut, 2011.07.21, 23:08
Adorno ... Marxo-Nihilismus ... Pf ...

Obwohl ... Da ... ist was dran ...

Dazu kenne ich ein schönes Gedicht...

!!!

...wurde das gedicht nicht mal von Herrn Cage vertont?

zum Heidegger (der ja wohl dann mal wieder recht hatte): streng genommen beginnt ja nicht das Buch (als Text Heideggers), sondern nur das vorangestellte Motto mit den '...', und das auch nur, weil es ein Platon-Zitat ist, das sinn- bzw. kontextgemäß um den Satzanfang verkürzt wurde.

Was Derrida betrifft: zumindest in meiner dt. Ausgabe endet das Buch mit einem ganz gewöhnlichen Punkt, dieser nach einem Rousseau-Zitat [Man könnte denken: außer Zitaten nix gewesen bei den Philos!], welches zweckdienlicherweise ebenso um den Satzanfang gekürzt und mit Punkten eingeleitet wurde; also ein übliches Zitierverfahren ohne besondere Semantik.

Wohl aber hat der Herr Nietzsche diese bedeutungsschwangeren Zeichen am Ende eines Absatzes/ Aphorismus [?] mal gerne benutzt.

Ich sach ma: wieder eine der Transcript-Veröffentlichungen, die der Beschäftigungs- und Veröffentlichungsnot semiprofessioneller Akademiker entspringt, die den ganzen Kommerz-Hochschul-Klimbim, wenn auch 'mit Vorbehalten' und pseudokritischen Allüren schön mitbetreiben, um ja auch mit absahnen zu dürfen!!

Tja, wenn ich über eine ähnlich gut sortierte Handbibliothek verfügte wie deinereiner, hätte ich diese beiden Behauptungen wohl auch nicht so stehenlassen...
Aber Nietzsche ist als Referenz natürlich auch nicht gerade letzte Wahl. Da hätt ich hier gleich mal einen Dreier:
Man muss der Menschheit überlegen sein durch Kraft, durch Höhe der Seele, - durch Verachtung... (aus dem Vorwort zu Der Antichrist)

YESSSSSS!!! EVIL!!!!! Und dennoch unschlagbar!! ;-)

Der Altmeister litt offenbar nicht unter Minderwertigkeits-
komplexen - sehr schön ja auch seine ersten Kapitel aus Ecce Homo:
Warum ich so weise bin
Warum ich so klug bin
Warum ich so gute Bücher schreibe

"Der Sozialismus - die zu Ende gedachte Tyrannei der Geringsten und Dümmsten"

Jaja, sowas hatte er durchaus auch im Angebot...
senf dazu
 

aussagekarzinom, 2011.07.26, 16:54
ein zeichen setzen, ja...im größeren stil vielleicht in der form, daß einiges zur entmachtung der sprache beigetragen wird...das unheil, daß götze sprache anrichten kann scheint immer noch nicht so richtig erkannt worden zu sein...

In der Tat. Gerade haben wir ja einen besonders krassen Fall von Literaturpromotion (bislang 76 Todesopfer) erlebt.
senf dazu
 
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