Ente am Ende
Nichtwählen ist ja auch keine Lösung
Samstag, 21. September 2013, 11:37

„Wahlen ändern nichts – sonst wären sie verboten“, lautet ein schöner Spruch. Nur leider stimmt er nicht. Die „Machtergreifung“ Hitlers z.B. war zwar eher eine Ermächtigung, aber sie hätte wohl nicht stattgefunden, wenn nicht zuvor eine relative Mehrheit der Wahlberechtigten in der Weimarer Republik die NSDAP gewählt hätte – und damit letztlich die Diktatur. Anders ausgedrückt: die Leute haben damals die Option gewählt, künftig nicht mehr wählen zu dürfen bzw. zu müssen.

Heuer, heißt es, gäbe es „keine Wechselstimmung“, weil es der Mehrzahl der Menschen in diesem unserem Lande doch gut ginge. Ich vermute eher, dass diese zwei Drittel (oder meinetwegen auch drei Viertel) der Gesellschaft große Angst haben, abzurutschen aus ihrer komfortabel erscheinenden Mittelschichtsposition ins „Prekariat“, und dass sie deshalb bereit sind, jedwede Kröte zu schlucken, und sei sie noch so schleimig. Aber gut: wer meint, alles liefe supi, soll doch am Sonntag zu Hause bleiben.

Übrigens: Wie viele Menschen enthalten sich der Stimme, weil sie wahlsonntags einfach Besseres zu tun haben? Weil das der einzige Tag in der Woche ist, wo sie mal im Bett bleiben können, und/oder weil sie vielleicht am Samstag schwer gefeiert haben? Weil sie bei dem schönen Wetter lieber raus ins Grüne fahren bzw. es sich bei miesem Wetter daheim gemütlich machen? Und um wieviel ließe sich die Beteiligung steigern, wenn die Leute nicht nur an einem bestimmten Stichtag, sondern innerhalb eines Zeitraums (sagen wir einen Monat) ihre Wahl treffen dürften?
(Nebenbei erwähnt; Das gibt es natürlich bereits – nur ist dieses „Briefwahlverfahren“ leider als Ausnahme konzipiert und unnötig kompliziert…)

Und wozu überhaupt der ganze Aufwand – für diese zwei Kreuzchen? Wieso dieses „Alles oder nichts“? Weshalb kann ich nicht zehn, hundert, tausend Stimmen auf die unterschiedlichen Parteien und Kandidaten verteilen, je nach Präferenz (das sogenannte Panaschieren, wie es in einigen Bundesländern bei Landtags- und Kommunalwahlen möglich ist)? Und warum nicht auch negative Stimmen vergeben, also gegen bestimmte Parteien und Kandidaten? Das wäre zumindest ein kleines bisschen mehr Demokratie, wenn auch immer noch lächerlich wenig...

Aber ist die Tatsache, dass sich unsere Mitbestimmung auf Bundesebene darauf beschränkt, alle vier Jahre zwischen ein paar Führungspersonen und „Programmen“ auswählen zu dürfen, tatsächlich ein gutes Argument dafür, dieses kleine Fitzelchen Mitspracherecht auch noch zu verschmähen? Je geringer die Wahlbeteiligung, desto geringer auch die Legitimation der Gewählten, das ist richtig – aber was, wenn diese daraus den Schluss ableiten, die Leute seien „mit den vielen Wahlen überfordert“ und die Legislaturperioden verlängern oder gleich ganz die Wahlen abschaffen?

Ich will ja wählen, mitentscheiden über meine eigenen Belange und darüber, wie es mit der Welt weitergehen soll und kann – nicht nur alle Jubeljahre, sondern möglichst umfassend, am besten permanent, jeden Tag und immer, wenn ich Zeitung oder Internet gelesen habe, die Stimme erheben dürfen. Wir Menschen sind nun einmal kommunikative Wesen, und insofern ist alles politisch, sprich: verhandelbar. Es fehlt eben nur an entsprechenden Strukturen, um gleichberechtigt über alles debattieren und entscheiden zu können – also müssen wir erst einmal dafür stimmen: für mehr Selbst- und Mitbestimmung!

senf dazu



txxx666, 2013.09.21, 19:21

Lustig oder traurig? Auf jeden Fall bezeichnend, was mir auf diesen Beitrag ausgerechnet ein Mitglied der Fratzbuch-Gruppe "Gewaltfreie Anarchisten"(!) schrieb:
Wir sollten Euch wahlvieh abschaffen!

Auf meine Entgegnung Am besten direkt ins Vernichtungslager - ist klar kam dann (bislang) keine Antwort mehr...

senf dazu
 

philosophicus, 2013.09.22, 15:50
Das mit den Negativstimmen wär' doch mal überlegenswert!

Nicht wahr? Dann hätte z.B. die AfD bestimmt sehr viel schlechter abgeschnitten... ; )
senf dazu
 
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