Ente am Ende
Sperrklausel und Klemmhansel
Donnerstag, 27. Februar 2014, 10:25

Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Sperrklausel bei der Europawahl für rechtswidrig - und die Klemmhanseln der etablierten Parteien heulen auf und sehen ihre Pfründe in Gefahr (rühmliche Ausnahme wie so oft, z.B. auch kürzlich bei der Diätenerhöhung: die Linke).

Die Spitzenkandidatin der Grünen Rebecca Harms barmt: "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeugt von Unkenntnis oder Respektlosigkeit gegenüber dem Europäischen Parlament."
Liebe Olivgrüne: wenn ihr solche Anhänger von Sperrklauseln seid - wie wäre es denn demnächst mit einer Zehn-Prozent-Hürde (wie sie z.B. in der Türkei üblich ist)? Dann würden (die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl zugrundegelegt) Grüne und Linke nicht mehr im Parlament sitzen, es gäbe faktisch ein übersichtliches Zwei-Parteien-System (wie in den USA), und die Union hätte die absolute Mehrheit (und müsste sich nicht mit den Sozen in dieser Großes-Kotzen-Koalition herumärgern).

Der SPD-Bundesvize Ralf Stegner wiederum unkt: "Es ebnet den Weg für Rechtspopulisten und Anti-Europäer".
Liebe Spezialdemokraten: gibt es denn eine bessere Methode, Rechtspopulisten zu entlarven, als sie ihren offenkundigen Stuss öffentlich im Parlament herunterbeten zu lassen? (In den ostdeutschen Landesvertretungen jedenfalls haben sich die dort teilweise zeitweilig eingezogenen Rechtsfraktionen meist binnen Kurzem ziemlich zuverlässig selbst zerlegt.)

Und was wäre denn tatsächlich geschehen, wenn bei der letzten Europawahl 2009 schon keine Fünf- oder Drei-Prozent-Hürde aufgestellt worden wäre?
Zusätzlich ins Parlament gekommen wären mit jeweils einem(!) Sitz: Freie Wähler, Republikaner, Tierschutzpartei, Familienpartei, Piratenpartei und Rentnerpartei - für die dann die tatsächlich eingezogenen Parteien (CDU, CSU, FDP, SPD, Grüne und Linke) jeweils einen Sitz (von insgesamt 99) hätten abtreten müssen; wäre das tatsächlich so ein nichtwiedergutzumachender Schaden für die Demokratie?

Interessanter würde es (wegen der größeren Anzahl der Sitze: 598 ohne "Überhangmandate"), wenn auch bei der Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde wegfiele. Beim letzten Mal (wo durch die Sperrklausel 15,7% aller Wählerstimmen ausgeschlossen wurden) hätte sich folgendes Parteienspektrum im Parlament ergeben (bei diesmal 631 Sitzen wegen Überhangmandaten):
CDU/CSU 262 Sitze (real: 311 Sitze)
SPD 163 (193)
Linke 55 (64)
Grüne 54 (63)
FDP 31 (0)
AfD 30 (0)
Piraten 14 (0)
NPD 8 (0)
Freie Wähler 6 (0)
Tierschutzpartei 2 (0)
ÖDP 2 (0)
Republikaner 1 (0)
PARTEI 1 (0)
pro Deutschland 1 (0)
Bayernpartei 1 (0)

15 Parteien also - für eine GroKo mit Zwei-Drittel-Mehrheit hätte es allerdings trotzdem gereicht (nicht allerdings für die heute bestehende und verfassungsrechtlich ebenfalls bedeutsame bzw. bedenkliche, da Oppositionsrechte beschränkende Drei-Viertel-Mehrheit). Und auch wenn insgesamt zehn Rechtsradikale (oder, wenn wir die AfD dazurechnen, sogar 40) natürlich eine echte Geduldsprobe gewesen wären - die Reden des Spitzenkandidaten der PARTEI, Martin Sonneborn, wären es wahrscheinlich allemal wert gewesen...
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Besser dagegen natürlich sowieso und immer noch bzw. längst überfällig: Echte Demokratie...

senf dazu



hastenteufel, 2014.02.28, 01:35
gibt es wirklich jemaden, der sich für diesen parlamentarischen QUATSCH interessiert?

mfg

Notgedrungen - obwohl ja nicht auszuschließen ist, dass diese minimale Form der Teilhabe auch bald wieder kassiert wird, zugunsten einer "sanften Diktatur der Sachzwänge"...
senf dazu
 

vert, 2014.02.28, 03:21
was mich noch am ehesten stört, ist die begründung des bvg, diese wahlen seien letztlich gar nicht so bedeutsam... das hingegen ist ja wohl eher eine klatsche für demokratie.

Autsch, autsch, autsch...

Selbstentlarvend, in der Tat!
senf dazu
 
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