Ente am Ende
Lamento
Freitag, 12. August 2016, 12:16


Wann genau war das eigentlich, als die Maschinen,



die Bildschirme und Algorithmen die Macht übernahmen?



Es muss jedenfalls schon eine ganze Weile her sein.



Und übrigens, werte "Pokemon-Jäger":



Seid ihr nicht letztendlich die Getriebenen?


senf dazu



novemberregen, 2016.08.12, 18:02
Was stört Sie denn konkret an - ich sage jetzt mal - uns?

Die Unfähigkeit, den Blick von diesen Scheiß-Displays zu lassen - im Straßenverkehr, beim gemeinsamen Warten auf Busse, Ärzte, Behörden, sogar bei Treffen mit Bekannten; der Zwang, alles ständig aufzunehmen (wo früher auf Konzerten Feuerzeuge hochgehalten wurden, haben heute alle ihre Handys überm Kopf) und sogar jede alltägliche Mahlzeit erst noch abzulichten und bei Fratzbuch oder Instaschlamm zu posten; und v.a. der weitgehende freiwillige Verzicht auf persönliche Kommunikation mit Augenkontakt usw.

Ich habe an mir festgestellt, dass sich die Zeiten, in denen ich mich nicht mit anderen Menschen beschäftigen möchte, immer ungefähr gleich bleiben. Nur wie ich sie fülle schwankt. Manchmal lese ich mehr, manchmal spiele ich mehr, manchmal schaue ich mehr abweisend/schweigend vor mich hin oder schließe die Augen. Zu diesen Zeiten gehören tatsächlich Wartezeiten beim Arzt, in der Supermarktschlange, Busfahrten etc und ich genieße die tatsächlich als Zeit, die ich für mich habe, ohne dass irgendwer irgendwelche Ansprüche an mich richten kann.

Sitzen Sie denn wirklich z.B. an der Bushaltestelle mit dem Wunsch, andere Reisende kennenzulernen?

Zumindest habe ich an Haltestellen oder auf Zugfahrten schon zuweilen nette Gespräche geführt - früher signifikant öfter als heute. Aber da war ich ja auch noch jung und knackig, vielleicht lag's daran...

Ja, ich habe auch zu solchen Gelegenheiten schon nette Gespräche geführt. Beim Pokémonjagen aber auch schon. Das schließt sich doch nicht aus. Außer man begegnet dem anderen von vornherein sehr anblehnend.

Trotzdem finde ich den Gedanken befremdlich, dass ich mich schlecht benehme, wenn ich im öffentlichen Raum nicht permanent anderen für Gespräche zur Verfügung stehen möchte.

Wer aber ständig autistisch im Weg rumsteht (wie die Pokemongos z.B. auf der Kö) oder gar ohne zu kucken über die Straße latscht, benimmt sich schon ziemlich daneben, oder?

Ja, natürlich! Dazu gibt es auch gar keinen Grund, man kann die Pokemons in einem Umkreis von ca. 15 Metern fangen, man kann sich also locker an die Seite stellen oder erstmal in Ruhe die Straße überqueren. Das ist eine ähnliche Deppigkeit, wie direkt am Ende der Rolltreppe stehenbleiben und sich erstmal umschauen, wo es langgeht, oder aus dem Zug aussteigen und mitten vor der Tür im Koffer kramen.

Das Bild oben, bei dem die ganzen Leute auf der Straße sitzen, finde ich aber sehr schön. Ich mag das, wenn der öffentliche Raum nicht nur als Durchgangszone gesehen wird sondern auch als Aufenthaltsraum, als Lebensraum. Deshalb finde ich es auch schön, wenn Leute um Pokestops herum Decken ausbreiten, sich es da mit Picknick gemütlich machen und so weiter.

Ich bin ja auch grundsätzlich ein Anhänger des öffentlichen Lagerns (bzw. neudeutsch "Cornerns"), allerdings bevorzuge ich dabei doch, meine Umgebung zu beobachten und nicht auf ein Display zu starren; aber vielleicht spricht aus mir auch nur der Neid des Besitzlosen, ich hab nämlich (und auch das nur nach großen Widerständen) ein ganz popliges Samsung-Handy, auf dem man nur Sudoku (und dazu braucht's ne Lupe) spielen kann.

Es ist ja auch nicht so, dass das Handyvolk Ihnen untersagen würden, einfach so die Umgebung zu beobachten. Nur sie selbst machen es halt (zeitweise) anders.

Sie haben dann vermutlich teilweise auch einfach mehr Sachen dabei und bevorzugen andere Medien. Ein Buch, eine Zeitschrift, einen Stadtplan und so weiter. Dass die Leute oben auf dem Bild alle Pokemons jagen, ist ziemlich offensichtlich. Aber am Bahnsteig kann man zB gar nicht wissen, was da jemand macht: lesen, arbeiten, spielen, kommunizieren, Verbindungen heraussuchen etc. Das alles lässt sich ja in dem einen Gerät machen, wofür man ansonsten einen kleinen Rucksack benötigt.

Ach, wahrscheinlich werde ich einfach alt; mich macht dieser allgegenwärtige Anblick von ständig über ihre Bildschirme gebeugten Zeitgenossen irgendwie schlecht gelaunt.

Mich stört das eigentlich nur, wenn jemand sich mit mir trifft und dann permanent auf seinem Handy checkt, ob da neue Nachrichten gekommen sind oder bei jedem WhatsApp ping unbedingt nachschauen muss, wer da gepingt hat. Zu sowas habe ich keine Lust. So behandelt man mich nur einmal.

Eine Unart, die sogar älter ist als diese Arschphones - ich meine mich zu erinnern, dass früher bei persönlichen Besprechungen (z.B. beim A-Amt) oft telefonische Unterbrechungen vorgingen...
senf dazu
 

txxx666, 2017.01.03, 17:21
In diesem Zusammenhang möchte ich das (eben erst gelesene und seinerzeit meist verrissene) Buch Der Circle von Dave Eggers empfehlen.
senf dazu
 
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