Ente am Ende
Zum Heulen
Mittwoch, 13. Oktober 2010, 02:17

Zu der absolut katastrophalen Maischberger-Sendung (Thema "Gehört der Islam zu Deutschland?"), die gerade viel zu spät zu Ende geht, finde ich gerade keine Worte; nur eines würde ich diesen ganzen selbstherrlichen Abendländern, die immer wieder behaupten, der Islam hätte zu "unserer Kultur" nichts beigetragen, gerne mal in die verbohrten Köpfe hämmern:
Ohne die Überlieferung durch die arabisch-islamische Wissenschaft wäre eine Renaissance überhaupt nicht möglich gewesen, da die so hochgelobten Christen im Mittelalter nichts Besseres zu tun hatten, als sämtliche Werke der alten Griechen und Römer als gottlose Ketzerei zu verbrennen* von den antiken Autoren gar nichts mehr wussten und überlieferten.
Ach ja, und wer hat uns eigentlich die indischen (manche sagen auch: arabischen) Ziffern übermittelt, ohne die die gesamte moderne Naturwissenschaft bis hin zur Computertechnik sich niemals hätte entwickeln können?
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* Passage auf Einwand von Cassandra hin relativiert (siehe Senf).

senf dazu



cassandra_mmviii, 2010.10.13, 13:54
"da die so hochgelobten Christen im Mittelalter nichts Besseres zu tun hatten, als sämtliche Werke der alten Griechen und Römer als gottlose Ketzerei zu verbrennen"

Echt? wann und wo fand das denn statt?

Mal ernsthaft: es ist während der Völkerwanderung viel, sowohl matierell als auch ideell, verschitt gegangen und das Griechische zB konnte danach kaum einer noch lesen. Und dass man aus dem ollen Gekrickel, mit dem keiner mehr was anfangen kann, was neues macht kann niemand verdenken. So sind zB eine Reihe griechischer Werke zu Bucheinbänden geworden. Heute kann man sie deswegen restaurieren.
das war nu' keine vorsätzliche Konservierung ("Bruder, weder du noch ich können das lesen. Lass' uns, damit dies WErk in 700 Jahren wieder gelesen werden kann, eine Bucheinband daraus machen!... ähh, oder so)", aber auch nicht das Wartburgfest der Deutschen Burschenschaft.

Klar wäre ich um 1300 lieber in Kairo als in Köln ernsthaft krank gewesen.

Aber das Mittelalter bestand nicht nur aus fanatisierten Mönchen, die griechische und römische Klassiker verbrennen um der Verdummung der Welt willen.
Im Gegenteil- so grob um die Kreuzzüge herum gibt es in Europa einen wissenschaftlichen Aufbruch. Die Jungs und Mädels haben sich als genauso modern, wissenschaftlich und vorwärtsorientiert wahrgenommen wie wir heute. Kunsthistorisch führt das zur Gothik, wissenschafthistorisch zu William von Ockham, dessen Rasiermesser noch heute das Mass aller Eklärungen ist und Roger Bacon (nicht verwandt mit dem gleichnamigen Frühstücksspeck :))

Wo das stattgefunden haben soll? Na, im Kloster Eberbach doch, im Namen der Hose...

Na gut, im Ernst: Möglicherweise habe ich da etwas falsch in Erinnerung. Da zur Zeit Google nicht funktioniert (?!?), bin ich auf eine Liste von Bücherverbrennungen im Mittelalter bei Wikipedia angewiesen, und da lese ich tatsächlich wenig von gezielter Vernichtung antiker Autoren; immerhin aber gab es im 4. Jahrhundert im damals schon christlichen Rom die Verfolgung und Hinrichtung von Personen, denen der Besitz von Büchern mit verbotenem Inhalt vorgeworfen wurde. Ihre Codices und Rollen wurden in großer Zahl öffentlich verbrannt. Bei den Büchern soll es sich vor allem um Werke der „artes liberales“, der klassischen antiken Wissenschaften gehandelt haben.

Aber gleichviel, ob derlei vor- und damit unchristliche Bücher im frühen und mittelalterlichen Christentum verbrannt oder "nur" vergessen bzw. anderweitig vernichtet wurden - Fakt bleibt, dass das antike Wissen ohne die bruchlose Überlieferung durch die jüdische und arabisch-islamische Gelehrtenwelt fürs Abendland großenteils verloren gewesen wäre.

Und nebenbei: auch Ockham (wie ja auch die Idee der universalen Menschenrechte noch bis ins letzte Jahrhundert) musste sich erst gegen vehementen Widerstand von Seiten der Kirche durchsetzen...


WIR haben schon südamerikanische Ureinwohner zu Priestern geweiht, da diskutierte "die Wissenschaft" noch, ob das überhaupt Menschen seien.

Vor so etwa 500 Jahren war die Theorie, dass es Hexen gäbe und sie allerlei Unheil anrichteten, der wissenschaftlich neueste Schrei, mühsam durchgesetzt gegen die mittelalterliche Kirche, die doch tatsächlich vehement behauptete, dem Teufel so viel Macht zu geben auf ERden sei Ketzerei.
Wir lernen dadraus: Wissenschaft ist nicht vor Irrtümern gefeiht und schon gar nicht immer zum Besten der Betroffenen (frag' mal die Hexen, was sie zum "wissenschaftlichen Fortschritt" meinten).
Wissenschaftlich waren auch die Experimente des "SS-Ahnenerbes" in Dachau und Natzweiler.

Der Diskurs, wer mehr für's Abendland getan hat, ist völlig daneben geschossen, denn:
auch wenn jemand den ganzen Tag nur neben dem Feuerstein sitzt und Kochlöffel aus Horn schnitzt ist er KEIN STÜCK WENIGER ein Mensch mit allen Rechten als der produktive Zeitgenosse, dem die Menschheit alles Mögliche verdankt.
Es ist halt keiner mehr wert als der andere.

Lass mich nachgrübeln... die Unterlagen habe ich gerade nicht zur Hand, aber die neoplatonische Akademie wurde im selben Jahr geschlossen, in dem Benedikt von Nursia die Regula verfasste, also zu Lebzeiten des Hl. Benedikt und damit zwischen 480 und 547.
Konstantinische Wende ist um 310, 380 wird das Christentum zur Staatsreligion. Da bleiben für die öffentliche Verbrennung von heidnischem Schweinkram 20 Jahre. Kann klappen, aber... gehört habe ich davon noch nicht. Und weil Stein nun mal schwerer brennt als Bücherrollen und die Lehrer da lebenslange Verträge hatten und höllische Konventionalstrafen fällig gewesen wären, wenn die Herren antiken Professoren den Schreibtisch und den (Sklaven)sekretär verloren hätten, liess man die Neoplatoniker weitermachen?

Der Begriff der "artes liberales" bildet sich erst in der Renaissance heraus, also wirklich später.

Darf ich dieses "WIR" dahingehend deuten, dass du dich der katholischen Kirche zurechnest? ; )

Das mit der Priesterweihe von Indios muss dann wohl gewesen sein, nachdem die Conquistadores ganze Völkerschaften zwangsgetauft und direkt darauf (bevor sie wieder hätten sündigen können) zerstückelten, wie es u.a. Bartolomé de las Casas berichtet hat...

Die Debatte, welche Religionen was genau zu den heutigen Kulturen beigetragen haben, finde ich nicht ganz so überflüssig - aber die Ansicht, dass das über die Einzelnen (selbst solche, die noch nicht einmal Holzlöffel schnitzen konnten und können) nichts aussagt, teile ich natürlich.


Ich bin römisch-katholisch (und das auch noch freiwillig).

Das mit der Priesterweihe war so ungefähr zeitgleich. Die Jesuiten missionierten, tauften und weihten, die Conquistadores metzelten... na ja, wenn man al Quaida mit dem Islam gleichsetzt, liegt man flasch. Und so ist es auch mit den Eroberern.

Fra Bartholome war übrigens Dominkaner. Er erkannte bei der Eucharistie, dass er nicht länger die Kommunion empfangen kann wenn sein Nächster neben ihm wie ein Tier leben muss.

Wegen Fra Bartholome haben die "domini canes" in Südamerika immer noch einen exzellenten Ruf- im Gegensatz zu Europa. Verstärkend kommt hinzu, dass während der diversen Sonnenbrillendiktaturen dort die Dominikaner und Jesuiten den höchsten Blutzoll gezahlt haben was die Orden der katholische Kirche angeht.

Katholisch und links schliesst sich nicht aus. Du klingst irgendwie überrascht. Macht nichts. Passiert vielen.

Nun waren die Dominikaner hierzulande jedoch auch gerne und häufig an Ketzer- und Hexenverfolgung beteiligt! Heutigen Brüdern kann man das natürlich nicht mehr vorwerfen, aber ganz unbefleckt sind die Jungs auch nicht.

Natürlich war das Mittelalter nicht ganz so finster, wie es gemalt wird, aber m.E. gibt es angenehmere Zeiten.

Die Hexenverbrennungen fanden NICHT im MIttelalter statt, sondern in der Frühen Neuzeit. Das klingt wie Historiker-Krümelkakckerei, ist aber wichtig, da sie etwas mit der wissenschaftlichen Revolution zu tun haben.

In Deutschland war die frühneuzeitliche Hexenverfolgung Sache der weltlichen Obrigkeiten.

Die Ketzerverfogungen sind was anderes. Die starten im grossen und ganzen in Südfrankreich und breiten sich von da aus aus.
Das Problem mit den Häretikern ist auch ein sehr weltliches: die untern´minieren das Herrschaftssystem in Frankreich, der Graf von Toulouse kündigt dem frz König den Gefolgseid und der ruft zum Krieg auf- Sezession haben nur ganz wenige Könige gern.
Hier kommen tatsächlich die Inquisitoren in's Spiel. Aber wer Neugeborene verhungern lässt, da sie nach Enpfang des consolamentums keine Milch mehr zu sich nehmen dürfen (Katharer waren Veganer, alles tierische ist unrein und kommt vom Teufel), der kann nicht wirklich auf mein Mitleid hoffen. Zumal die grossen Massaker auch hier wieder von der wildgewordenen Soldateska angerichtet worden sind (Motto: "Gott wird die seinen schon erkennen") und im eigentlichen Ketzerprozess das Ziel immer war, den Widerruf zu erreichen. Verbrennen war so das allerletzte Mittel für chronisch Rückfällige.
Und auch hier wieder: verbrannt haben die weltlichen Obrigkeiten.

Ein bisschen überrascht vielleicht, auch wenn ich so manche linke Christenseele kenne - aber irgendwie halte ich es da doch mit der alten Dogmatik: "Opium für das Volk"... ; )


Du kennst den grössten Revoluzzer halt nicht.

"Man kann nicht zwei Herren dienen, Gott und dem Mammon". Das sagt alles über das Verhältnis eines Christen zum Kapitalismus aus.

Dochdoch, den kenne ich - Jesus, der erste Kommunist. Nur leider hat sich die Kirche allzu oft als seiner nicht würdig erwiesen...


Wir arbeiten dran :)

Mal ernsthaft: wenn das Evangelium gelebt werden würde, jeden Tag, dann sähe es hier anders aus. Nicht perfekt, aber anders und zwar ein ganzes Stück besser.

Jesus lehrt uns, dass wir, sollten wir eine zweiten Mantel haben, ihn dem geben sollen, der keinen hat. Das wir lieben sollen, und zwar jden, auch den, dessen Nasenform oder Hautfarbe uns nicht in den Kram passt. Das der, der leidet, unser Nächster ist, und das wer dem hilftm der in Not ist, Ihm hilft.

Die Botschaft von der absoluten Gleichheit eines jeden Menschen ist unbeschreiblich.

Zweifellos - obwohl: unbeschreiblich? Die Botschaft ist doch beschrieben worden, sehr wort- und seitenreich...

Nüchtern beschrieben bin ich heute morgen viel zu früh erkältet aufgewacht und habe mich mit einer Tasse Tee und einer Decke im Wohnzimmer verkrochen.

Als ich die Vorhänge zurückzog und zusah, wie der Morgennebel wich und alles zartrosa wurde. Dazu das Quacken der Enten und ein paar sonstige Zugvögel... beschreiben kann ich dir wohl, was ich sah, aber wie beschreibt man, wenn die Nase nicht mehr wehtut und das man nicht reden kann einfach völlig unwichtig ist?

Auch wenn das Gefühl unbeschreiblich erscheint - immerhin hast du es ja beschrieben und vielleicht habe ich sogar eine kleine Ahnung davon bekommen, was du meinst... ; P

senf dazu
 
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