Ente am Ende
Aus mit Saus und Braus
Donnerstag, 11. April 2013, 13:30

Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos, dans une chambre.
Blaise Pascal

Wenn wir ehrlich zu uns selber sind, müssen wir einsehen, dass wir so nicht weitermachen können. Das Ideal einer Gesellschaft in Vollbeschäftigung, die sich in ihrer knappen Freizeit mit überbordendem Konsum belohnt, ist dabei, der Menschheit (und nicht nur ihr) binnen kürzester Zeit unwiederbringlich die Lebensgrundlagen zu entziehen. Wenn wir daran festhalten wollten, für ganz wenig Geld mehrmals im Jahr Flugreisen zu unternehmen, bei jeder Gelegenheit in einem spritfressenden Riesenwagen unterwegs zu sein und für Zigtausende von Euronen pro Jahr neue Klamotten und "Unterhaltungselektronik" anzuschaffen, müssten wir in Kauf nehmen, entweder einen Großteil der Menschheit gewaltsam von diesem Lebensstil fernzuhalten oder aber - "nach mir die Sintflut" - auf eine lebenswerte Zukunft für uns und v.a. unsere Nachfahren zu verzichten.

Die Alternative mag für manche schmerzhaft klingen: wir müssten anfangen, uns zu bescheiden, nachhaltig zu wirtschaften und gerechte Löhne und Preise zu akzeptieren.

Konkret: die Zeiten, in denen für jeden eine gut bezahlte 40-Stunden-Stelle bereitstand, sind unwiederbringlich vorbei (falls es sie je gegeben haben sollte). Wir müssen weniger und vor allem anders produzieren und konsumieren, und wir müssen die vorhandenen Ressourcen (und auch die gesellschaftlich notwendige und nützliche Arbeit) gerecht verteilen. Und in unserer (dann reichlicher bemessenen) Freizeit müssen wir ebenfalls Verzicht üben. Reisen würden wieder langsamer und teurer und damit seltener werden, und Waren aus der "Dritten Welt" wären nicht länger billiger als "einheimische" Produkte. In einer halbwegs gerechten Welt kann es eben keine Hose für 10 Euro (auf Kosten minderjähriger Näherinnen in Südostasien) oder Bananen für unter einen Euro das Kilo geben. Die Konsequenz heißt: weniger wegwerfen, mehr reparieren, und im Zweifelsfall eben Äpfel und Birnen essen statt Ananas und Litschi.

Anstatt mit abenteuerlichen Methoden ("Fracking") die letzten Reste fossiler Brennstoffe aus der Erde zu pressen, müssten wir z.B. endlich darangehen, unseren ganzen Plastikmüll wieder einzusammeln und aus dem Meer zu fischen und ihn einer effektiven Wiederverwertung zuzuführen. Anstatt alle paar Monate ein neues Handy und jedes Jahr einen neuen Computer anzuschaffen, müssen wir uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass bestimmte Dinge teuer und wertvoll und eben keine Wegwerfartikel sind, sondern auf Langlebigkeit angelegt und reparabel. Und einen dreitägigen Kurzurlaub in Malle oder den Tagestrip nach New York wird sich bei einem vernünftigen (die Folgekosten einberechnenden) Preis auch kaum einer mehr leisten können und wollen.

Viele Tätigkeiten, als "erfüllend" empfunden, aber für Umwelt und/oder Gesellschaft schädlich, können in Zukunft allenfalls virtuell, als Simulation, ausgeübt werden. Da kann der begeisterte Industrie-Landwirt seine Hunderttausend Legehennen im Käfig-KZ demnächst vielleicht nur noch via "FarmVille" managen und der Drohnenpilot ebenfalls nur noch in einem entsprechenden Computerspiel Jagd auf "Human Targets" machen.

Wir werden also auf jeden Fall einiges von dem, was wir heute als Lebensqualität ansehen, verlieren; aber wahrscheinlich werden wir dafür ganz neue, ungeahnte Freuden kennenlernen, die daraus erwachsen, in einer gleichberechtigten Welt ohne strukturelle Unterdrückung, Ausbeutung und Vernichtung unserer Mitmenschen und Mitgeschöpfe zu leben - denn das hat es noch nie gegeben.

Zeit wird's!

senf dazu



samuel david herr, 2013.04.11, 17:28
Ich finde es gut, daß sie den Glauben an Mensch, Zivilisation und Vernunft noch nicht verloren haben.

Ich für meinen Teil freue mich auf den anstehenden interkontinentalen Zusammenbruch sämtlicher Wirtschaftssysteme und ziehe meine Lebensqualität hernach aus geselligen Raubzügen mit der kurzläufigen Shotgun.

Könnte aber ein ziemlich kurzes Vergnügen werden...
senf dazu
 

cut, 2013.04.11, 21:51
Aus? Saus und Braus? Sollen erst mal kommen! Wo bleibt denn da der revolutionäre Optimismus?

Das IST doch der revolutionäre Optimismus!

Das? Das ist doch kleinbürgerliche Sehnsucht nach dem Biedermeier-Idyll! ;-)

Das ist Rev.-Opt.: "Erst sie* hat bewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustande bringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen, sie hat ganz andere Züge ausgeführt als Völkerwanderungen und Kreuzzüge ...

... Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen."


*Die Bourgeoisie

Der durchschnittliche westliche Lebensstandard (CO2-"Fußabdruck", Mobilitäts- und Motorisierungsgrad usw.) sollte also tatsächlich ohne Abstriche für sieben Milliarden Menschen erreichbar sein?

Ich bin ganz schlecht in Sozialastrologie. Denke aber, die Zukunft ist offen. Und das ungehobene menschliche Potential ist groß.

Und ich glaube, eine realistische (oder meinetwegen pessimistische) Perspektive aus nüchternen Augen kann dieses Potential eher mobilisieren als blauäugiger Machbarkeitswahn. Der hat uns schon in allzu viele technische, ökologische und soziale Sackgassen hineinmanövriert.
senf dazu
 

samuel david herr, 2013.04.12, 02:54
Mal ganz unverbindlich und ironiefrei in die Runde gefragt ...
"Volksentscheide als alleinige Grundlage der politischen Entscheidungsfindung" ???

Ist es wirklich eine gute Idee, der BILD auch noch die mageren Restbestände von Sozialstaat und Streitkultur in die Hände zu spielen?

Nein, eben nicht der BILD (die entgegen anderslautender Vermutungen auch nur von einer relativ kleinen Minderheit - etwa 17,9 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung - gelesen und von dieser Leserschaft auch nicht immer ganz ernst genommen wird), sondern der jeweils sich zu einer konkreten Entscheidung formierenden (und hoffentlich immer sachkundiger werdenden) Mehrheit, die dann auch keine plumpe Empörungs- und Ablenkungsmedien mehr brauchen und verlangen würde, um die eigene Ohnmacht zu ertragen und zu verdrängen, sondern sachlich informierende Informationskanäle.

Eine Statistik aus dem Hause Springer. Vertrauenswürdiger gehts kaum.

Wenn die Mehrheit in diesem Lande aus informierten, sachkundigen Menschen besteht, warum zur Hölle werden wir dann schon seit 8 Jahren von Angela Merkel regiert?

Wenn die das schon so angeben, sind die wahren Zahlen wahrscheinlich noch geringer...
Ja, warum Merkel? Vielleicht weil die einzige Alternative der doofe Steinmeier von den verräterischen Spezial-Demokraten war?
Die Leute könnten (und würden) natürlich noch viel informierter und sachkundiger sein - wenn sie das dann auch in faktische Politik umsetzen dürften.

Das halte ich für einen gefährlichen Trugschluß.
Meiner bescheidenen Meinung nach würde auf Basis von Volksentscheiden zuallererst das Asylrecht verschärft, wenn nicht gar abgeschafft, das Internet aufgrund böser Kinderschänder reguliert und Homosexualität schleunigst wieder illegalisiert werden.

Das ist wahrscheinlich ebenso übertrieben negativ gedacht, wie Ihre Ansichten, hochverehrter Herr 666, doch außergewöhnlich optimistisch erscheinen, zumindest in diesem hier behandelten Kontext.

Ich traue dem Volk ... der MEHRHEIT des Volkes ... nicht über den Weg.
Ich fürchte, die repräsentative Demokratie ist der Basisvariante an Schrecken, sozialer Härte und Inkompetenzfaktoren doch noch spürbar unterlegen.

Und ich befürchte, dass wir genau aus diesem Grunde - dem allgemeinen Misstrauen gegenüber der Mehrheit - weiterhin von einer kleinen Minderheit ausgebeutet werden, bis zur baldigen finalen Katastrophe...

Die einzig "finale" Katastrophe, die diesen Planeten je heimsuchen wird, wird eine Supernova sein. Alles andere verkraftet sowohl Mensch als auch Planet auf Dauer.

Das System MUß zusammenbrechen. Es zu reformieren, ergibt JETZT nicht mehr viel Sinn.
Sobald es soweit ist, wird sich ganz von alleine zeigen, wozu die Mehrheit wirklich taugt.

Es mag Zweckoptimismus sein, aber ich ziehe die Vorstellung einer unblutigen Evolution der Vision eines Zusammenbruchs vor.
senf dazu
 
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