Meine werte Ex-Gattin, die inzwischen weder in Russland lebt, fragt mich per Mail:
(...) Was haben diese führenden westlichen Länder gegen Russland? Wieso möchten sie Russland sagen, wie Russland sich benehmen soll? Wieso mischen sie sich in Russland ein? Wieso wurde unter Jelzin das Grundgesetz so konzipiert, dass Russland nicht einmal sein eigenes Geld konrollieren kann - die Zentralbank Russlands ist nicht Russland, sondern dem Federal Reserve System der USA untergeordnet (...)
Wieso soll Russland nur die Kolonie der westlichen Länder. vor allem der USA sein und Erdöl und Gas für Minimalpreise an den Westen verkaufen, wie es in den 90ern war, wo wir nix zu essen hatten? Und wenn Russland ein unabhängiges Land sein möchte, dann wird behauptet, Russland will die Welt erobern? (...)
Meine Antwort lautet so:
Das Problem ist meiner Meinung nach das kapitalistische System, in dem wir alle leben. Im Konflikt um die Ukraine geht es doch vor allem um den strategischen Zugang zu Bodenschätzen, Produktionsmitteln und Absatzmärkten - die Schicksale einzelner Menschen (und Völker) sind dabei nebensächlich bzw. nur Vehikel für politisch-mediale Augenwischerei (Propaganda).
Natürlich sind die USA so etwas wie das Aushängeschild (oder Mutterland) des Konkurrenzprinzips ("freier Wettbewerb", haha). Dort ist es (theoretisch) scheißegal, wo jemand herkommt, ob er Jude, Schwarzer, Asiat oder Russe (und ob er strang muslimisch, Scientologe oder schwul oder sonstwas) ist - solange er sich den Regeln unterwirft und damit Erfolg hat ("vom Tellerwäscher zum Millionär"). In Wirklichkeit ist es aber natürlich so, dass dort die weißen angelsächsischen Protestanten ("WASPs") die Fäden in der Hand halten und nur ab und zu jemanden in ihren Erbklüngel einlassen, um die großartige Erzählung vom "Land der unbegrenzten Möglichkeiten", mit dem sie die Massen so schön unterdrücken, ruhighalten und ausbeuten können, nicht zu beschädigen.
Mir gefällt es aber auch ganz und gar nicht, wie jetzt in Russland teilweise darauf reagiert wird - mit einer "Rückbesinnung auf alte Werte" wie "Volkstum", Stimmungsmache gegen Juden und Homosexuelle usw.
Die Nazis ("National-"Sozialisten") haben in Deutschland vor knapp 100 Jahren auch so getan, als wären sie eine antikapitalistische Bewegung, haben dann aber nur die Juden enteignet, den Besitz der reichen "Arier" dagegen unangetastet gelassen und noch vermehrt; die Arbeitslosigkeit haben sie abgeschafft durch ein gigantisches Rüstungsprogramm, das dann zwangsläufig (allein schon der horrenden Schulden wegen - es ging ja weniger um "Lebensraum", als um die Bodenschätze im Osten) in den 2. Weltkrieg münden musste.
Stalin mit seinem "Sozialismus in einem Land" war auch nicht viel besser - Funktionärsdiktatur statt Sozialismus (was für mich Gleichberechtigung und absolutes Mitspracherecht bedeutet), Kommando- statt echte Planwirtschaft.
Putin lässt die Oligarchen leider auch gewähren, solange sie ihm nicht in die Quere kommen, und die Massen in Russland werden weiter bzw. wieder ausgebeutet. Um davon abzulenken, inszeniert er sich jetzt als "starker Mann", der dem dekadenten Westen Paroli bietet, und erfreut sich damit offenbar nicht nur im Lande größter Beliebtheit, sondern bekommt aus der ganzen Welt Applaus (auch) von ultrarechten Kreisen (AfD usw. in Deutschland, Front National in Frankreich u.v.a.), die auch gerne so einen "Führer" für ihr "Volk" hätten.
Ich dagegen glaube, die Zeit der "starken Männer" (oder auch Frauen) und der Hierarchien muss endlich ein Ende haben. Die Zukunft kann nur internationalistisch und echt demokratisch werden, oder sie wird gar nicht sein. Ein Rückzug ins Nationale kann nur zu Krieg und Vernichtung führen.
Weitere Stellungnahmen ausdrücklich erbeten...
Und die Revolution, die dir offenbar vorschwebt - wie soll die aussehen? Mit Kalaschnikows und/oder Sprengstoffgürteln gegen die Büttel des Kapitals aufmarschieren? Und dann (im unwahrscheinlichen Fall, dass das klappen sollte) dürfen die siegreichen Revolutionäre nach Gutdünken schalten und walten? Da kann wohl kaum viel Gutes bei rauskommen...
Aber wenn sich die Demokratie aus sich selbst heraus erst weiter entwickelt hat, dreht sich dieser Trend um und es kommt eine Verteilung von oben nach unten, weil der Milliardärsclub vom Parlament in die Knie gezwungen wurde. Hat es zwar in der Geschichte noch nie zuvor gegeben, wird aber in Zukunft so kommen, wenn die "Demokratie" erst mal weiterentwickelt wurde, d.h. wenn sich die herrschende Klasse, getrieben von der besseren Einsicht, selber entmachtet hat.
Derzeit ist an keine sozialistische Revolution zu denken, klar. Bedeutet aber nicht automatisch, dass es auch ohne gehen wird.
Wie wäre es mit dem gemeinsamen Untergang der sich bekämpfenden herrschenden Klassen?
Aber auch ohne solche Einsichten wäre eine relativ gewaltlose Umverteilung von Macht und Geld möglich, wenn nur genügend Leute die wenigen demokratischen Handhaben, die ihnen als Deckmäntelchen zugestanden wurden, ernst- und wahrnehmen würden. Stattdessen immer nur meckern und runterbeten "kann ja nicht funktionieren" - dadurch wird sich wohl erst recht nichts ändern.
Da bin ich doch lieber naiv als zynisch (auch wenn es oft schwerfällt)...
Besser wie ein Hamster im Laufrad rennen als in der Ecke zu hocken und fett werden.
Das beste Argument gegen euch TUWASse: Ihr befestigt Illusionen mit euren Petitionen!
Ich selber darf bzw. muss mich allerdings wohl mit Fug und Recht(?) als TUNIX (wenn nicht gar als Tunichtgut) bezeichnen.
aber dann darf ich sie wohl hiermit offiziell in die neuen sozialen bewegungen stecken;-)
auch das tunix-festival des tum-asta ist da eher als alternativer tuwas-gegenpol konzipiert gewesen, aber sowas weiß heute da niemand mehr. die zeiten als der tum-asta mal linksalternativ war, sind gründlich vorbei.
Und die linken AStAe (und nicht "*ASTen", wie es zuweilen so falsch wie unschön hieß) sind wohl seit Bologna landesweit nur noch (wenn auch eine schöne) Geschichte...
schröder ist jetzt übrigens fast 10 jahre her. das macht die vergangenheit nicht ungeschehen, aber in der zwischenzeit ist ja nun doch was passiert. und sei es nur, dass die grünen ihren schröder losgeworden sind.
studentische vertretung gibt es sehr wohl noch, durchaus mit alternativem anspruch. leider fehlt mir da manchmal der blick über den tellerrand, das ist aber eher etwas jeweils lokales als direkt etwas ideologisches. aber sicher hat die bologna-reform zu verkürzten studiendauern und einem strafferem studium insgesamt geführt. die aktiven sind weniger geworden, die verweildauer kürzer. (letzteres vllt gar nicht mal immer so schlimm;-)
TuWas – Stiftung für Gemeinsinn will Stifterinnen und Stiftern vielfältige Möglichkeiten geben, sich mit ihrer Zuwendung für folgende Anliegen stark zu machen: die Verwirklichung der universellen Menschenrechte, Ökologie, Demokratie und Selbstbestimmung, nachhaltiges bürgerschaftliches Denken und Handeln, Geschlechterdemokratie und soziale Gerechtigkeit sowie Kunst und Kultur. Die Stiftung ist den Grundwerten der grünen Bewegung verpflichtet. Sie fördert die von Stifterinnen und Stiftern genannten gemeinnützigen Ziele.
wer Vieles bringt, bringt Manchen etwas.
Was ist schon das bisschen Nationalismus, dass Putin zu mobilisieren versucht, um der neuen antirussischen Entente aus USA & NATO überhaupt irgendetwas entgegen setzen zu können?
Jedenfalls halte ich persönlich das bissken viel Nationalismus, dass sich seit einiger Zeit weltweit artikuliert, für sehr viel bedrohlicher.
➥ Zur Petition Weiterentwicklung: Demokratie
➥ Das Prinzip Permanentes Plebiszit
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Charles Bukowski