Ente am Ende
Pro oder contra Putin - das ist nicht die Frage...
Mittwoch, 3. Dezember 2014, 12:00

Meine werte Ex-Gattin, die inzwischen weder in Russland lebt, fragt mich per Mail:

(...) Was haben diese führenden westlichen Länder gegen Russland? Wieso möchten sie Russland sagen, wie Russland sich benehmen soll? Wieso mischen sie sich in Russland ein? Wieso wurde unter Jelzin das Grundgesetz so konzipiert, dass Russland nicht einmal sein eigenes Geld konrollieren kann - die Zentralbank Russlands ist nicht Russland, sondern dem Federal Reserve System der USA untergeordnet (...)
Wieso soll Russland nur die Kolonie der westlichen Länder. vor allem der USA sein und Erdöl und Gas für Minimalpreise an den Westen verkaufen, wie es in den 90ern war, wo wir nix zu essen hatten? Und wenn Russland ein unabhängiges Land sein möchte, dann wird behauptet, Russland will die Welt erobern?
(...)

Meine Antwort lautet so:

Das Problem ist meiner Meinung nach das kapitalistische System, in dem wir alle leben. Im Konflikt um die Ukraine geht es doch vor allem um den strategischen Zugang zu Bodenschätzen, Produktionsmitteln und Absatzmärkten - die Schicksale einzelner Menschen (und Völker) sind dabei nebensächlich bzw. nur Vehikel für politisch-mediale Augenwischerei (Propaganda).

Natürlich sind die USA so etwas wie das Aushängeschild (oder Mutterland) des Konkurrenzprinzips ("freier Wettbewerb", haha). Dort ist es (theoretisch) scheißegal, wo jemand herkommt, ob er Jude, Schwarzer, Asiat oder Russe (und ob er strang muslimisch, Scientologe oder schwul oder sonstwas) ist - solange er sich den Regeln unterwirft und damit Erfolg hat ("vom Tellerwäscher zum Millionär"). In Wirklichkeit ist es aber natürlich so, dass dort die weißen angelsächsischen Protestanten ("WASPs") die Fäden in der Hand halten und nur ab und zu jemanden in ihren Erbklüngel einlassen, um die großartige Erzählung vom "Land der unbegrenzten Möglichkeiten", mit dem sie die Massen so schön unterdrücken, ruhighalten und ausbeuten können, nicht zu beschädigen.

Mir gefällt es aber auch ganz und gar nicht, wie jetzt in Russland teilweise darauf reagiert wird - mit einer "Rückbesinnung auf alte Werte" wie "Volkstum", Stimmungsmache gegen Juden und Homosexuelle usw.

Die Nazis ("National-"Sozialisten") haben in Deutschland vor knapp 100 Jahren auch so getan, als wären sie eine antikapitalistische Bewegung, haben dann aber nur die Juden enteignet, den Besitz der reichen "Arier" dagegen unangetastet gelassen und noch vermehrt; die Arbeitslosigkeit haben sie abgeschafft durch ein gigantisches Rüstungsprogramm, das dann zwangsläufig (allein schon der horrenden Schulden wegen - es ging ja weniger um "Lebensraum", als um die Bodenschätze im Osten) in den 2. Weltkrieg münden musste.

Stalin mit seinem "Sozialismus in einem Land" war auch nicht viel besser - Funktionärsdiktatur statt Sozialismus (was für mich Gleichberechtigung und absolutes Mitspracherecht bedeutet), Kommando- statt echte Planwirtschaft.

Putin lässt die Oligarchen leider auch gewähren, solange sie ihm nicht in die Quere kommen, und die Massen in Russland werden weiter bzw. wieder ausgebeutet. Um davon abzulenken, inszeniert er sich jetzt als "starker Mann", der dem dekadenten Westen Paroli bietet, und erfreut sich damit offenbar nicht nur im Lande größter Beliebtheit, sondern bekommt aus der ganzen Welt Applaus (auch) von ultrarechten Kreisen (AfD usw. in Deutschland, Front National in Frankreich u.v.a.), die auch gerne so einen "Führer" für ihr "Volk" hätten.

Ich dagegen glaube, die Zeit der "starken Männer" (oder auch Frauen) und der Hierarchien muss endlich ein Ende haben. Die Zukunft kann nur internationalistisch und echt demokratisch werden, oder sie wird gar nicht sein. Ein Rückzug ins Nationale kann nur zu Krieg und Vernichtung führen.


Weitere Stellungnahmen ausdrücklich erbeten...

senf dazu



txxx666, 2014.12.03, 14:06
Erste Stellungnahme der Ex-Gattin: sie war zuerst etwas, hinterher aber gar nicht mehr amused...
senf dazu
 

hastenteufel, 2014.12.05, 00:27
"Echt demokratisch", ohne REVOLUTION, ohne Umsturz der Eigentumsverhäaltnisse, wie soll das gehen? Durch Petitionen und Metapetitionen? Oder verbessert sich die Demokratie aus sich selber heraus immer weiter, bis sie irgendwann "echt demokratisch" ist?

Natürlich MIT einer Änderung - Umverteilung - der Eigentumsverhältnisse, wobei die große Mehrheit (wenn nicht gar alle) gewinnen würden. Steht doch alles schon x-mal hier...
Und die Revolution, die dir offenbar vorschwebt - wie soll die aussehen? Mit Kalaschnikows und/oder Sprengstoffgürteln gegen die Büttel des Kapitals aufmarschieren? Und dann (im unwahrscheinlichen Fall, dass das klappen sollte) dürfen die siegreichen Revolutionäre nach Gutdünken schalten und walten? Da kann wohl kaum viel Gutes bei rauskommen...

Wir haben bereits ein "Umverteilung", nämlich von unten nach oben.
Aber wenn sich die Demokratie aus sich selbst heraus erst weiter entwickelt hat, dreht sich dieser Trend um und es kommt eine Verteilung von oben nach unten, weil der Milliardärsclub vom Parlament in die Knie gezwungen wurde. Hat es zwar in der Geschichte noch nie zuvor gegeben, wird aber in Zukunft so kommen, wenn die "Demokratie" erst mal weiterentwickelt wurde, d.h. wenn sich die herrschende Klasse, getrieben von der besseren Einsicht, selber entmachtet hat.

Derzeit ist an keine sozialistische Revolution zu denken, klar. Bedeutet aber nicht automatisch, dass es auch ohne gehen wird.

Wie wäre es mit dem gemeinsamen Untergang der sich bekämpfenden herrschenden Klassen?

Es gibt immer ein erstes Mal - und es gibt immerhin Anzeichen, dass auch die Mitgliedfer des Milliardärsclubs (ich erinnere z.B. an die Initiative von Warren Buffett) allmählich einsehen, dass ein "Weiter so" nicht funktionieren wird.
Aber auch ohne solche Einsichten wäre eine relativ gewaltlose Umverteilung von Macht und Geld möglich, wenn nur genügend Leute die wenigen demokratischen Handhaben, die ihnen als Deckmäntelchen zugestanden wurden, ernst- und wahrnehmen würden. Stattdessen immer nur meckern und runterbeten "kann ja nicht funktionieren" - dadurch wird sich wohl erst recht nichts ändern.
Da bin ich doch lieber naiv als zynisch (auch wenn es oft schwerfällt)...

Das beste Argument auf eurer Seite ist wohl, dass garnix tun auch nix nützt.
Besser wie ein Hamster im Laufrad rennen als in der Ecke zu hocken und fett werden.

Das beste Argument gegen euch TUWASse: Ihr befestigt Illusionen mit euren Petitionen!

Es geht doch nichts über die desillusionierten Ex-Linken, die resigniert in ihrer Fettecke hocken und immer alles schön schlechtreden.

sehe ich das richtig, dass die betitelung als "TUWAS" eigentlich schon eher als beleidigung gemeint war? als shb-ausgründung waren die tuwas-listen an den unis damals™ ja schon hart an der spd-sozialdemokratie.

Ich hab's auch eher despektierlich aufgefasst, obgleich mir diese Listen noch nicht resp. nicht mehr bekannt waren - bei Wikipedia ist auch nur noch das hier (ebenfalls hart an der Spezialdemokratie) zu finden...

Ich selber darf bzw. muss mich allerdings wohl mit Fug und Recht(?) als TUNIX (wenn nicht gar als Tunichtgut) bezeichnen.

ja, das ist allerdings interessant, daraus bin ich auch noch nicht ganz schlau geworden, warum eine derart benamste stiftung so nah an den grünen ist, die spezialdemokratie sehe ich in deren arbeit eher wenig...

aber dann darf ich sie wohl hiermit offiziell in die neuen sozialen bewegungen stecken;-)
auch das tunix-festival des tum-asta ist da eher als alternativer tuwas-gegenpol konzipiert gewesen, aber sowas weiß heute da niemand mehr. die zeiten als der tum-asta mal linksalternativ war, sind gründlich vorbei.

Ach stimmt ja, die Böll-Stiftung steht ja den Olivgrünen nahe, sorry - offenbar nehme ich diese Flitzpiepen seit den unseligen Schröder-Zeiten nur noch als Wurmfortsatz der ollen Schabracke SPD wahr.
Und die linken AStAe (und nicht "*ASTen", wie es zuweilen so falsch wie unschön hieß) sind wohl seit Bologna landesweit nur noch (wenn auch eine schöne) Geschichte...

naja, es gibt halt die große HBS (hans-böckler-) und die kleine hbs (s.o.).
schröder ist jetzt übrigens fast 10 jahre her. das macht die vergangenheit nicht ungeschehen, aber in der zwischenzeit ist ja nun doch was passiert. und sei es nur, dass die grünen ihren schröder losgeworden sind.
studentische vertretung gibt es sehr wohl noch, durchaus mit alternativem anspruch. leider fehlt mir da manchmal der blick über den tellerrand, das ist aber eher etwas jeweils lokales als direkt etwas ideologisches. aber sicher hat die bologna-reform zu verkürzten studiendauern und einem strafferem studium insgesamt geführt. die aktiven sind weniger geworden, die verweildauer kürzer. (letzteres vllt gar nicht mal immer so schlimm;-)

TuWas: Da bleibt ja nun wahrlich nix mehr außen vor, was auch nur irgendwie im Ruch des Progressiven stehen könnte. Aus der Satzung:

TuWas – Stiftung für Gemeinsinn will Stifterinnen und Stiftern vielfältige Möglichkeiten geben, sich mit ihrer Zuwendung für folgende Anliegen stark zu machen: die Verwirklichung der universellen Menschenrechte, Ökologie, Demokratie und Selbstbestimmung, nachhaltiges bürgerschaftliches Denken und Handeln, Geschlechterdemokratie und soziale Gerechtigkeit sowie Kunst und Kultur. Die Stiftung ist den Grundwerten der grünen Bewegung verpflichtet. Sie fördert die von Stifterinnen und Stiftern genannten gemeinnützigen Ziele.

wer Vieles bringt, bringt Manchen etwas.

stimmt, klingt voll scheiße, besonders das mit den menschenrechten, das ist ja überhaupt nur so ein nebenwiderspruch. danke für das zitat, jetzt bin ich erleuchtet.
senf dazu
 

hastenteufel, 2014.12.21, 01:53
Jetzt mal Hand aufs Herz: Könnte es etwas Gefährlicheres geben als wenn sich die russischen Kommunisten plötzlich des proletarischen Internationalismus entsännen, die Regierungsmacht erobern und versuchen würden, die Sowjetunion wiederherzustellen, um von Moskau aus die Weltrevolution voran zu treiben? Man möchte sich wünschen, die Zeiten mögen niemals kommen, wo wir der Amtszeit Putins nachtauern müssen.
Was ist schon das bisschen Nationalismus, dass Putin zu mobilisieren versucht, um der neuen antirussischen Entente aus USA & NATO überhaupt irgendetwas entgegen setzen zu können?

Wäre das tatsächlich so gefährlich? Im Kalten Krieg haben sich die Sowjets doch auch eher zurückgehalten, gerade im Vergleich zu den USA; eventuell war das sogar der entscheidende Fehler...?

Jedenfalls halte ich persönlich das bissken viel Nationalismus, dass sich seit einiger Zeit weltweit artikuliert, für sehr viel bedrohlicher.

Der entscheidende historische Fehler war der Verrat der SPD an der deutschen Novemberrevolution 1918/19. Ohne diesen Verrat kein Hitler und kein Stalinismus, kein Massenmord an den Juden usw. - sag' jetzt mal so.

Sehe ich ähnlich - wobei der Verrat j schon vorher mit der Bewilligung der Kriegskredite 1914 angefangen hat...
senf dazu
 
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